Alfred Wegener: Die Entstehung der Kontinente und Ozeane (1929)

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196 10. Ergänzende Bemerkungen über die Sialsphäre.

steigen diese und das unter ihnen liegende zähflüssige Sima an, so daß das bisherige Massendefizit ersetzt wird und der Graben sich nunmehr als Ganzes isostatisch kompensiert erweist. Bei der weiteren Öffnung der Spalte wird deren Boden zunächst vollständig mit den auseinandergezogenen Massen der plastischen unteren Schichten der Sialschollen bedeckt sein, die von Bruchstücken der spröderen Oberschichten bedeckt sind, bis schließlich bei sehr weiter Trennung auch Simafenster erscheinen. Bei dem großen Graben des Roten Meeres ist die Entwicklung so weit vorgeschritten, daß, wie Triulzi und Hecker fanden, bereits isostatische Kompensation herrscht.

Der Umstand, daß die obersten Schichten des Sials wesentlich spröder sind als die tieferen, gibt auch die Erklärung für die auffallende Tatsache, daß ehemals zusammengehörige Schollenränder auch dann noch kongruent geblieben sind, wenn zwischen ihnen Sialmassen liegen, die eine glatte Zusammenfügung der Schollen zu verbieten scheinen. Z. B. zeigt die Ostküste von Madagaskar ebenso wie die Westküste von Vorderindien einen auffallend geradlinigen Abbruch der beiderseitigen Gneisplateaus, was kaum einen anderen Schluß zuläßt, als daß beide Teile einst unmittelbar zusammenhingen. Dennoch liegt zwischen ihnen der bogenförmige Schelf der Seychellen, der offenbar gleichfalls aus Sial besteht (die Inseln bestehen aus Granit) und bei der Rekonstruktion dazwischen-geschoben werden müßte. Wahrscheinlicher erscheint mir aber, daß wir es hier nur mit dem plastischeren Material der tieferen Sial-schichten zu tun haben, das bei dem Trennungsprozeß herausgezogen worden ist und daher bei der Rekonstruktion unter den beiden Schollenteilen anzubringen wäre, was natürlich nicht ausschließt, daß es auch mit kleineren Oberflächenbrocken gekrönt sein kann. Ähnliches gilt für die mittelatlantische Bodenschwelle und manche anderen Gebiete. Es ist wichtig, dies zu berücksichtigen, da es sonst an manchen Stellen rätselhaft erscheinen könnte, warum die Konturen der getrennten Schollen fast genau kongruent sein können, während doch zwischen ihnen noch unregelmäßige Sialmassen liegen.

Auf dieses seitliche Herausziehen der unteren plastischen Schichten des Sials ist es wohl auch zurückzuführen, daß die Ränder gespaltener Kontinentalschollen oft in einer Reihe von Bruchstufen, die dem Rande parallel verlaufen, zum Tiefseeboden abfallen, ja oft in ihrem oberen, allein zu untersuchenden Teile eine „Flexur" vortäuschen, d. h. daß ihre Oberfläche nach außen herabhängt. Doch können wir auf diese Einzelheiten hier nicht weiter eingehen.


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Das Original des Werkes wurde freundlicherweise von der Universitätsbibliothek Köln zur Verfügung gestellt. Einscannen, Bearbeitung und OCR durch Kurt Stüber, Oktober 2003.
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© Kurt Stueber, 2003