Alfred Wegener: Die Entstehung der Kontinente und Ozeane (1929)

Volltext

[Vorige Seite][Index][Nächste Seite]

9. Die verschiebenden Kräfte. 177

Weiter hat auch Schweydar [40] die Polfluchtkraft berechnet. Er erhält für die Breite von 45° etwa 1/2000 cm/sec, d. h. die Kraft beträgt etwa den zweimillionsten Teil des Gewichts der Schollen. „Ob diese Kraft zu einer Verschiebung ausreicht, ist nicht leicht zu entscheiden. Jedenfalls würde sie nicht eine Westwanderung erklären, da die Geschwindigkeit zu gering ist, um durch die Erdrotation eine merkliche westliche Ablenkung hervorzurufen."

An Epsteins Rechnung setzt Schweydar aus, daß die angenommene Verschiebungsgeschwindigkeit von 33 m pro Jahr zu groß sei, und daß die hieraus abgeleitete Zähigkeit des Simas erheblich zu klein sei. Aber wenn man die Geschwindigkeit kleiner nimmt, so bekommt man die geforderte größere Zähigkeit: „Nimmt man für den Zähigkeitskoeffizienten die Ordnung 1019 (statt wie Epstein 1016) an und macht die Voraussetzung, daß die von Epstein benutzte Formel hier anwendbar ist, so erhält man für die Geschwindigkeit einer Scholle in 45° Breite etwa 20 cm pro Jahr. Immerhin muß es als möglich bezeichnet werden, daß die Kontinente unter der Einwirkung der Polfluchtkraft eine nach dem Äquator gerichtete Verschiebung erleiden."

Endlich haben Wavre [204] und Berner [203] eine neue Berechnung der Polfluchtkraft ausgeführt, die wohl die genaueste ist. Sie erhalten als Maximalwert der Polfluchtkraft, gültig für 45° Breite

1/800000 des Gewichts der Schollen. „Das Verhältnis der verschiebenden Kraft zum Gewicht des Kontinents ist also außerordentlich klein; sie ist nicht imstande, Gebirge zu erzeugen, und erzeugt solche auch gegenwärtig nicht am Äquator."

„Aber die Dinge liegen anders, wenn sich zu diesem statischen Effekt ein dynamischer addiert."

„Der Widerstand des Simas hindert die Kontinente nicht, sich zu bewegen; und in dem Falle, wo zwei Kontinente sich am Äquator oder in anderen Breiten begegnen, müßte die lebendige Kraft, die ein jeder von ihnen einbüßt, in der einen oder anderen Form zurückgewonnen werden."

Wie es scheint, ist Kreichgauer der erste Entdecker der Polfluchtkraft. In der zweiten Auflage seines Buches „Die Äquatorfrage in der Geologie" [5] hat er nämlich auf S. 41 eine schon von ihm im Jahre 1900 an anderer Stelle veröffentlichte Überlegung eingeschaltet, welche die Polfluchtkraft ergibt. In der ersten Auflage fehlt diese Ausführung.


Faxsimile (Scan) dieser Textseite.

Das Original des Werkes wurde freundlicherweise von der Universitätsbibliothek Köln zur Verfügung gestellt. Einscannen, Bearbeitung und OCR durch Kurt Stüber, Oktober 2003.
Dieses Buch ist Teil von www.biolib.de der virtuellen biologischen Fachbibliothek..
© Kurt Stueber, 2003