Alfred Wegener: Die Entstehung der Kontinente und Ozeane (1929)

Volltext

[Vorige Seite][Index][Nächste Seite]

8. Grundsätzliches über Kontinentverschiebungen usw. 171

'

schiefe klein, zu den Zeiten ohne Eis und mit weitem Vordringen der Organismen groß gewesen wäre.

Es ist nämlich nicht schwer, sich die Wirkungen solcher Änderungen der Ekliptikschiefe auf das Klimasystem der Erde klarzumachen. Man braucht sich nur zu vergegenwärtigen, daß die Jahresschwankung der Temperatur wesentlich auf der Ekliptikschiefe beruht. Wird diese Null, steht also die Erdachse senkrecht auf der Erdbahn, so fällt bei der Kleinheit der Bahnexzentrizität die Jahresschwankung so gut wie ganz fort, und es herrscht überall auf der Erde das ganze Jahr hindurch zeitlich konstante Temperatur, wie heute nur in den Tropen. Im Polargebiet herrscht dann das ganze Jahr hindurch die dortige, sehr tiefe Mitteltemperatur; der Winter wird zwar wärmer als jetzt, aber die Temperatur bleibt doch dauernd unter dem Gefrierpunkt. Und der Sommer unterscheidet sich nicht von ihm. Pflanzenwuchs ist dann ausgeschlossen, da es im ganzen Jahre überhaupt keine Vegetationsperiode gibt. Die Pflanzenwelt wird also von den Polen weit abgedrängt, und ihr werden die Landtiere folgen müssen. Und weiter kann der Niederschlag, der das ganze Jahr hindurch in Form von Schnee fällt, nicht schmelzen, weil mit der Sommerwärme auch die Schmelzperiode fehlt. Er muß sich anhäufen und alles Land mit Inlandeis überschwemmen.

Wird andererseits die Ekliptikschiefe wesentlich größer als heute, so wächst auch die Jahresschwankung der Temperatur im Polargebiet gewaltig an. Der Sommer wird dort viel wärmer und gestattet daher den Pflanzen und mit ihnen der Tierwelt des Landes, das ganze Gebiet bis einschließlich zum Pol zu besiedeln, selbst hochstämmige Bäume könnten dort wachsen, wenn die Mitteltemperatur des wärmsten Monats über + 10° C steigt, denn die strenge Winterkälte können, wie Sibirien zeigt, manche Formen überstehen. Sommerniederschlag fällt als Regen, und der als Schnee fallende Winterniederschlag wird durch die Sommerwärme ohne Schwierigkeit geschmolzen, so daß sich wie in Sibirien auch bei tiefer Jahresmitteltemperatur doch kein Inlandeis bilden kann. Dabei wird aber auch die Jahresmitteltemperatur im Polargebiet, wenn auch nur in geringem Maße, erhöht, weil die stärkere Einstrahlung im Sommer nicht durch größere Ausstrahlung im Winter völlig kompensiert werden kann; denn wenn die Sonne erst einmal unter dem Horizont steht, ist es für die Strahlungsbilanz gleichgültig, wie tief sie unter ihm steht. Man wird also aus den Klimazeugnissen der Pflanzen- und Tierwelt des Landes aus solchen Zeiten


Faxsimile (Scan) dieser Textseite.

Das Original des Werkes wurde freundlicherweise von der Universitätsbibliothek Köln zur Verfügung gestellt. Einscannen, Bearbeitung und OCR durch Kurt Stüber, Oktober 2003.
Dieses Buch ist Teil von www.biolib.de der virtuellen biologischen Fachbibliothek..
© Kurt Stueber, 2003