Alfred Wegener: Die Entstehung der Kontinente und Ozeane (1929)

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8. Grundsätzliches über Kontinentverschiebungen usw. 153

Bodenschwelle nach Westen, und zwar ersteres etwa doppelt so schnell wie letztere; bezogen auf die mittelatlantische Bodenschwelle, wanderte Amerika nach Westen und Afrika etwa gleich schnell nach Osten; und bezogen auf Amerika, wanderten sowohl die mittelatlantische Schwelle wie Afrika beide nach Osten, letzteres doppelt so schnell wie erstere. Bei der Relativität der Bewegung sind alle drei Aussagen identisch. Wählen wir aber einmal Afrika als Bezugssystem, so können wir definitionsgemäß diesem Kontinent keine Bewegung zuteilen. Daß diese Wahl nicht für die einzelnen Teile der Erde, sondern höchstens für die Gesamtheit der Erdoberfläche die zweckmäßigste sein kann, wurde schon gesagt.

Die so definierten Kontinentverschiebungen enthalten noch keinerlei Aussage über Lagenänderungen zum Pol oder zur Unterlage. Ich halte es für wichtig, diese Begriffe von dem der Kontinentverschiebung zu trennen.

Pol Wanderung ist ein geologischer Begriff. Da dem Geologen nur der oberste Teil der Erdrinde zugänglich ist, und die frühere Lage der Pole sich nur an der Hand fossiler Klimazeugnisse beurteilen läßt, die der Erdoberfläche entstammen, so müssen wir die Polwanderungen als oberflächliche definieren, d. h. als Drehung des Systems der Breitenkreise relativ zur gesamten Erdoberfläche oder auch, was wegen der Relativität aller Bewegung auf das gleiche hinausläuft, als Drehung der gesamten Erdoberfläche relativ zum System der Breitenkreise. Um wirksam zu sein, muß diese Drehung natürlich um eine Achse erfolgen, die von der Rotationsachse der Erde abweicht. Die Frage, wie sich das Erdinnere hierbei verhält, ob es in bezug auf das System der Breitenkreise oder in bezug auf die Erdoberfläche ruht, oder drittens, was auch möglich ist, sich in bezug auf beide dreht, bleibt bei dieser Definition ganz aus dem Spiele. Und das ist notwendig, um Klarheit zu schaffen. Oberflächliche Polwanderungen in diesem Sinne lassen sich für die Vorzeit nur durch die fossilen Klimazeugnisse nachweisen. Die Geophysik kann über ihre Existenz oder Möglichkeit kein Urteil abgeben.

Die Bestimmung der Polwanderung nach dieser Definition ist allerdings wegen des gleichzeitigen Auftretens der Kontinentverschiebungen mit Schwierigkeiten verknüpft. Gäbe es keine Kontinentverschiebungen, so würde man die Pollagen, wie sie aus den fossilen Klimazeugnissen hervorgehen, unmittelbar miteinander vergleichen können, und man erhielte ohne weiteres die Polwanderung nach Richtung und Größe. Sind aber in der Zwischenzeit zwischen


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Das Original des Werkes wurde freundlicherweise von der Universitätsbibliothek Köln zur Verfügung gestellt. Einscannen, Bearbeitung und OCR durch Kurt Stüber, Oktober 2003.
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© Kurt Stueber, 2003