Alfred Wegener: Die Entstehung der Kontinente und Ozeane (1929)

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152 8. Grundsätzliches über Kontinentverschiebungen usw.

Achtes Kapitel.

Grundsätzliches über Kontinentverschiebungen und Polwanderungen.

Die Worte Kontinentverschiebung und Polwanderung werden in der bisherigen Literatur bisweilen in recht verschiedenem Sinne gebraucht, und es herrscht über ihr Verhältnis zueinander eine Unklarheit, die nur durch eine genaue Definition beseitigt werden kann. Eine solche ist auch notwendig, um die Probleme, die in diesen Worten enthalten sind, überhaupt klar zu erkennen.

Die Aussagen der Verschiebungstheorie beziehen sich durchgängig auf relative Kontinentverschiebungen, d. h. auf Verschiebungen von Teilen der Erdkruste relativ zu einem willkürlich gewählten Teil derselben. Insbesondere sind in den Rekonstruktionen der Abb. 4 (S. 18) die Kontinentverschiebungen relativ zu Afrika angegeben, so daß Afrika in allen Rekonstruktionskarten in gleicher Lage gezeichnet wurde. Die Wahl des Bezugskontinents fiel auf Afrika, weil dies den Kern der ehemaligen Urkontinentalscholle darstellt. Beschränkt man die Betrachtung auf einen Teil der Erdoberfläche, so wird man das Bezugssystem naturgemäß auf ein engeres Gebiet dieses Teiles verlegen und dann dies Bezugsgebiet in unveränderter Lage darstellen. Die Wahl desselben ist eine reine Zweckmäßigkeitsfrage. Wegen der neuerdings eingeleiteten Überwachung der geographischen Längenänderungen wird man vielleicht später dazu übergehen, die Kontinentverschiebungen auf der ganzen Erde relativ zur Greenwicher Sternwarte darzustellen.

Um von der willkürlichen Wahl des Bezugssystems freizukommen, könnte man vielleicht ausgeglichene Kontinentverschiebungen definieren, die relativ zur Gesamtheit der Erdoberfläche an Stelle nur eines Teiles derselben zu bestimmen wären. Deren Bestimmung wäre aber praktisch mit großen Schwierigkeiten verknüpft und kommt einstweilen nicht in Betracht.

Es ist wichtig, sich die völlige Willkürlichkeit des von uns benutzten Bezugssystems Afrika zu vergegenwärtigen. Wenn beispielsweise Mole ngraaff [in 228] hervorhebt, die mittelatlantische Schwelle zeige, daß Afrika von dort nach Osten gewandert sei, so kann ich hierin keinen Widerspruch mit der Verschiebungstheorie anerkennen. Bezogen auf Afrika, wanderten Amerika und die mittelatlantische


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Das Original des Werkes wurde freundlicherweise von der Universitätsbibliothek Köln zur Verfügung gestellt. Einscannen, Bearbeitung und OCR durch Kurt Stüber, Oktober 2003.
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© Kurt Stueber, 2003