Alfred Wegener: Die Entstehung der Kontinente und Ozeane (1929)

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7. Paläoklimatische Argumente. 131

gerichtet ist. Kletterer, wie Affe oder Faultier, sind im Walde zu Hause.

Es ist hier nicht möglich, auf alle derartigen Klimazeugnisse einzugehen; das Gesagte wird aber genügen, um ein ungefähres Bild davon zu geben, auf welche Weise man überhaupt zu Schlüssen über das vorzeitliche Klima gelangt.

Die ungeheure Menge von Tatsachen, die sich in dieser Weise als fossile Klimazeugen verwerten lassen, zeigt nun überraschenderweise, daß in den meisten Gegenden der Erde in der Vorzeit ein ganz anderes Klima geherrscht hat als heute. So ist bekannt, daß Europa den größten Teil der Erdgeschichte hindurch subtropisches bis tropisches Klima gehabt hat. Noch zu Beginn der Tertiärperiode hatte Mitteleuropa das Klima der äquatorialen Regenzone; dann folgt in der Mitte dieser Periode die Bildung großer Salzlager, also Trockenklima, sodann gegen Ende der Tertiärperiode ein etwa dem heutigen Klima entsprechendes, und darauf folgt dann die quartäre Inlandeisüberschwemmung, also Polarklima wenigstens für Nordeuropa.

Ein besonders in die Augen fallendes Beispiel für große Klimaänderungen bilden auch die Nordpolargebiete, namentlich das am besten bekannte Spitzbergen, das nur durch ein Flachseegebiet von Europa getrennt ist und also einen Teil der großen eurasiatischen Kontinentalscholle bildet. Heute liegt Spitzbergen bei strengem Polarklima unter Inlandeis; aber im Frühtertiär (als Mitteleuropa in der äquatorialen Regenzone lag) standen dort Wälder von größerem Artenreichtum, als er heute in Mitteleuropa gefunden wird. Nicht nur Kiefern, Fichten und Eiben fanden sich dort, sondern auch Linden, Buchen, Pappeln, Ulmen, Eichen, Ahorn, Efeu, Schlehe, Hasel, Weißdorn, Schneeball, Esche, ja sogar so wärmeliebende Gewächse wie Wasserlilien, Walnuß, Sumpfzypresse (Taxodium), gewaltige Sequoien, Platanen, Kastanien, Ginkgo, Magnolie, die Weinrebe! Es muß damals offenbar auf Spitzbergen ein Klima geherrscht haben wie heute etwa in Frankreich, d. h. die Jahresmitteltemperatur muß etwa 20° höher gewesen sein als heute. Und gehen wir noch weiter in der Erdgeschichte zurück, so finden wir Anzeichen für noch größere Wärme: im Jura und der älteren Kreide wuchsen dort Sagopalmen, die heute nur in den Tropen vorkommen, Ginkgo (heute in einer einzigen Art in China und Südjapan), Baumfarne und anderes. Und auch schon im Karbon finden wir auf Spitzbergen teils mächtige Gipslager, die von subtropischem Trocken-

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Das Original des Werkes wurde freundlicherweise von der Universitätsbibliothek Köln zur Verfügung gestellt. Einscannen, Bearbeitung und OCR durch Kurt Stüber, Oktober 2003.
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© Kurt Stueber, 2003