Alfred Wegener: Die Entstehung der Kontinente und Ozeane (1929)

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42 4. Geophysikalische Argumente.

erste, der annahm, daß unter den Gebirgen die leichte Rinde verdickt ist und das schwere Magma, auf dem sie schwimmt, hier in größere Tiefen drängt. Umgekehrt mußte dann die leichte Rinde unter tiefgelegenen Teilen der Erdoberfläche, wie den Ozeanbecken, besonders

dünn sein. Hier werden also nur zwei Materialien angenommen, eine leichte Rinde und ein schweres Magma. Bowie veranschaulicht diese Vorstellung durch einen dem vorigen entsprechenden Versuch, indem er eine Anzahl verschieden hoher, aber alle aus dem gleichen Material (Kupfer) hergestellter Prismen auf Quecksilber schwimmen läßt, die dann natürlich verschieden tief eintauchen; das längste Prisma taucht am tiefsten ein, hat aber gleichzeitig auch die höchste Oberfläche. Es ist vielfach hervorgehoben worden, daß diese Airysche Vorstellung viel besser zu dem geologischen Bilde der Erdrinde, namentlich bei den großen Zusammenschüben in Faltengebirgen, paßt als die Prattsche. Andererseits läßt sie aber die Duplizität des Häufigkeitsrnaximums in der Höhenstatistik der Erdoberfläche unerklärt, denn es ist nicht einzusehen, warum die leichte Kruste auf der Erde in grundsätzlich zwei verschiedenen Dicken auftreten soll, nämlich in Form dicker kontinentaler Schollen und dünner ozeanischer.

Die richtige Deutung dürfte in einer Verbindung beider Vorstellungen zu finden sein: Bei Gebirgen haben wir es im wesentlichen mit Verdickungen der leichten kontinentalen Rinde zu tun im Sinne von Airy; aber bei dem Übergang von der Kontinentalscholle zum Tiefseeboden mit Materialverschiedenheit im Sinne von Pratt.

Die neuere Entwicklung dieser Isostasielehre betrifft vor allem die Frage ihres Gültigkeitsbereiches. Für größere Schollen, wie z. B. einen ganzen Kontinent oder einen ganzen Tiefseeboden, muß ohne weiteres Isostasie angenommen werden. Aber im Kleinen, bei einzelnen Bergen, verliert dieses Gesetz seine Gültigkeit. Solche kleineren Teile können durch die Elastizität der ganzen Scholle getragen werden, genau wie ein Stein, den man auf eine schwimmende Eisscholle legt. Die Isostasie vollzieht sich dann zwischen Scholle und Stein als Ganzem und dem Wasser. So zeigen die Schweremessungen auf den Kontinenten bei Gebilden, deren Durchmesser nach Hunderten von Kilometern mißt, sehr selten eine Abweichung von der Isostasie; beträgt der Durchmesser nur Zehner des Kilometers, so herrscht meist nur eine teilweise Kompensation, und beträgt er nur einige Kilometer, so fehlt die Kompensation meist ganz.

Ob man nun die ältere Prattsche Vorstellung oder die von Airy und Heiskanen zugrunde legt, in jedem Falle führt die


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Das Original des Werkes wurde freundlicherweise von der Universitätsbibliothek Köln zur Verfügung gestellt. Einscannen, Bearbeitung und OCR durch Kurt Stüber, Oktober 2003.
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© Kurt Stueber, 2003