Richard Semon: Im australischen Busch und an den Küsten des Korallenmeeres. (1903)

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Schnecken, deren Speichel freie Schwefelsäure enthält. 511

angriffen und die kalkdurchsetzten, stachelbewehrten Geschöpfe in so kurzer Zeit auffraßen und verdauten, als wären es weiche Würmer oder aus der Schale herausgenommene Austern. Durch weitere Beobachtungen fand ich, daß die Zerstörung der Kalksubstanz der Stachelhäuter in folgender Weise vor sich geht: Das schwefelsäurehaltige Sekret wird von zwei großen Drüsen, sogenannten Speicheldrüsen, ausgeschieden, die dicht neben dem Magen liegen und durch zwei lange Ausführgänge, rechts und links neben der Reibeplatte oder Radula, dem Hauptkauorgan der Schnecken, ausmünden. Die Schnecke bewältigt nun das kalkige Skelett ihrer Beute derart, daß sie, an einer Stelle beginnend, die Kalkplatten anätzt und dann mit der Reibeplatte zerreibt. Die organischen Substanzen, die sich zwischen und unter dem Kalkskelett befinden, wandern in den Magen, unablässig schreitet der Ätzungs- und Zerreibungsprozeß weiter, und ein großes Tritonshorn ist im stände, den Kalk eines mächtigen Asterias glacialis von ein viertel Meter Durchmesser und 134 Gramm Gewicht in 24 Stunden vollständig zu zerstören und die organischen Teile des Tieres in seinen Magen aufzunehmen. Übrigens machen sich die Schwefelsäureschnecken, zu denen von Vorderkiemern außer den genannten noch die Sturmhauben (Cassis, Cassidaria), von Hinterkiemern die Pleurobrancheen gehören, auch an Kalkschwämme und andre durch kalkige Ausscheidungen geschützte Tiere, Alcyonarien und Ascidien.

Die meisten Stachelhäuter sind diesen mit so gewaltigen Angriffswaffen ausgerüsteten Feinden rettungslos preisgegeben. Die Seeigel entwischen ihnen indessen häufig durch ihre Schnelligkeit, und natürlich sind Formen mit langen spitzen Stacheln, wie Diadema, besonders im Vorteil, weil sie entfliehen können, ehe die Schnecke nur ordentlich anpacken kann. Andre Seeigel verkriechen sich unter Steine oder stemmen sich in Höhlungen fest, aus denen sie ihre Feinde nicht herausholen können. Ein weiterer Schutz liegt für viele Arten der Stachelhäuter darin, daß sie sich vorwiegend im flachen Wasser aufhalten, in das jene großen und unbehilflichen Schnecken sich selten wagen. Dort fallen die ungeschützteren Arten aber wiederum den Möven und ändern Seevögeln zur Beute, wovon man sich leicht an unsern Nordseeküsten überzeugen kann, wo »Seestern« auf dem Küchenzettel der verschiedenen Mövenarten eine Hauptrolle spielt. Asthenosoma, für gewöhnlich ein Bewohner der tieferen Wasserschichten, würde besonders gefährdet sein, wenn ihn nicht seine furchtbaren Giftstacheln schützten. Seine bunte Farbe ruft den Feinden schon von weitem ein noli me tangere zu. Daß wir in den


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Das Original des Werkes wurde freundlicherweise von der Universitätsbibliothek Köln zur Verfügung gestellt. Einscannen und bearbeiten durch Frank Al-Dabbagh, Oktober, 2003.
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© Kurt Stueber, 2003