Richard Semon: Im australischen Busch und an den Küsten des Korallenmeeres. (1903)

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Die Insel Ambon.

Besonders reiche Ausbeute lieferte mir das Sammeln auf den Korallenriffen zur Ebbezeit. Viele Tiere konnte ich dann direkt im seichten Wasser von 2—3 Fuß Tiefe von den Korallen ablesen. Ich trug bei dieser Arbeit starke Bergschuhe und eine leichte Saronghose. Meine Leute aber wandelten mit bloßen Füßen auf den spitzen Korallen herum. Als die ergiebigste Methode erwies es sich, mächtige Korallenblöcke, die bei Niederwasser in drei bis sechs Fuß Tiefe lagen, abzulösen, ans Ufer zu schleppen und dort mit Hämmern zu zerklopfen. Die Höhlungen und Buchten des Korallenfelsens bieten Tausenden von anderen Tierarten Schutz und Aufenthalt. Da wimmelt es von Krebsen und Krabben aller Art, kleine Seeigel sitzen in den Vertiefungen und stemmen sich mit ihren Stacheln so fest gegen die Vorsprünge des Steins, daß es nur möglich ist, sie hervorzuziehen, wenn man den letzteren zertrümmert. Schlangensterne strecken ihre enorm verlängerten Arme durch das weite Löchersystem des Korallenbaues; ergreift man einen dieser Arme, um das Tier hervorzuziehen, so stemmt auch dieses sich mit seinen Stacheln fest, der Arm reißt ab und bleibt dem Feinde als Beute, während das Tier sich noch weiter verkriecht und durch sein kräftiges Regenerationsvermögen bald den Schaden ersetzt. Mit ihnen bewohnen Ringel- und Schnurwürmer den porösen Kalkfelsen, kleine Actinien füllen Öffnungen aus, in die sie sich ganz zurückziehen können, wenn sie das Wasser aus ihrem schwellbaren Körper auspressen. Ihrem Bau, ihren Größenverhältnissen, ihrer ganzen Lebensweise nach zeigen sich diese Formen auf das innigste den Bedingungen angepaßt, die das Leben im Korallenfels ihnen bietet.

Die von mir auf meiner Reise gesammelten Tiere sind mittlerweile bestimmt und im fünften Bande der »Zoologischen Forschungsreisen in Australien und dem Malayischen Archipel« beschrieben und zum Teil abgebildet worden. Allein auf Ambon kommen über 100 neue Arten, die zum Teil neuen Gattungen angehören.

Ein Wald von ästigen Korallen ist eine hinfällige Bildung. Ein starker Sturm zertrümmert Tausende der zarten Äste. Horn-, Koffer-und Kugelfische brechen auf der Jagd nach Mollusken und Krebsen mit gewaltigen Kiefern die Zweige ab, die ihnen im Wege sind, die Trümmer, die Schalen abgestorbener Tiere, der von der Brandung aufgerührte Sand fängt sich im Astwerk. So wird aus dem unendlich zierlichen Steingebüsch ein festerer, von Löchern und Höhlungen durchzogener Fels. Zunächst ist aber noch überall die eigentümliche Korallenstruktur deutlich erhalten. Das poröse Gestein wird nun zur Wohnung aller jener Riffbewohner, die sich seiner Konfiguration an-


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Das Original des Werkes wurde freundlicherweise von der Universitätsbibliothek Köln zur Verfügung gestellt. Einscannen und bearbeiten durch Frank Al-Dabbagh, Oktober, 2003.
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© Kurt Stueber, 2003