Richard Semon: Im australischen Busch und an den Küsten des Korallenmeeres. (1903)

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An Bord des »Both«.

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Utrecht erzogen und eben aus dem Mutterlande zurückgekehrt war, abzuholen. Der gebildete Holländer läßt, wenn er es irgend vermeiden kann, seine Kinder nicht in Indien aufwachsen, auch die nicht, die dort geboren sind. Wenn sie groß genug sind, um die Reise gut zu vertragen, schickt man sie nach Europa und läßt sie dort erziehen. Der Körper des reinblütigen Europäers entwickelt sich nicht in voller Frische und Kraft, wenn man ihn die Kindheit und Reifezeit in dem heißen Klima Indiens verbringen läßt. Der Organismus wird schwächlicher, hinfälliger, weichlicher. Auch wirkt das Aufwachsen unter der malayischen Dienerschaft, deren Sprache die Kinder gewöhnlich besser verstehen, als die Eltern, und deren sittliche Anschauungen sie unvermerkt in sich aufnehmen, ungünstig auf die Moral der heranwachsenden Jugend.

Außerdem befanden sich an Bord zwei junge Regierungsbeamte oder Amtenaare, im Alter von ungefähr 20 Jahren, die eben frisch aus Holland importiert waren. Sie kamen aus Delft, wo die Regierung eine Hochschule zur Heranbildung ihrer niederländischen Civilbeamten errichtet hat, und waren eben im Begriff, sich nach glücklich bestandenem Examen in ihren neuen Wirkungskreis zu begeben. Der eine von ihnen hatte so vorzüglich absolviert, daß er dadurch das Recht auf eine Anstellung in Java erworben hatte, was als ein besonderer Vorzug angesehen wird. Aber auf der Überfahrt hatte ihn sein Schicksal erreicht. Er hatte die hübsche und liebenswürdige Missionärstochter kennen gelernt, und als der Vater derselben sein Kind nach vierjähriger Trennung in Priok vom Dampfer abholte, stellte sich ihm gleich ein hoffnungsvoller junger Mann vor, der sein Schwiegersohn zu werden wünschte. In diesem Falle rann der Strom der treuen Liebe sanft, die Erkundigungen, die der Vater einzog, lauteten günstig, der junge Mann verzichtete auf seine Anstellung in Java und bat um eine solche in der Minahassa. Der General-Gouverneur war nicht hartherzig, und wenn das Brautpaar auch so lange, bis die Schwiegermutter in Celebes und die Eltern des Bräutigams in Holland ihre Einwilligung gegeben hatten, nur als ein sogenanntes »heimliches« figurierte, war es doch mit dieser Heimlichkeit nicht weit her. Zur Beruhigung der Leser will ich mitteilen, daß ich denn auch sechs Monate später, als ich schon wieder in Europa war, die offizielle Anzeige des Amtenaars und seiner Erwählten erhielt. Diese kleine freundliche Liebesgeschichte der liebenswürdigen jungen Menschenkinder verlieh unserem kleinen, gemütlichen Kreise an Bord des Both einen besonderen Reiz.

Von Surabaja führte uns unser Schiff quer durch die Sundasee


Faxsimile (Scan) dieser Textseite.

Das Original des Werkes wurde freundlicherweise von der Universitätsbibliothek Köln zur Verfügung gestellt. Einscannen und bearbeiten durch Frank Al-Dabbagh, Oktober, 2003.
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© Kurt Stueber, 2003