Richard Semon: Im australischen Busch und an den Küsten des Korallenmeeres. (1903)

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Boro-Budor. 473

Blickt man von dem Tempel auf das umliegende, im vollen Kulturschmuck prangende Land, so erkennt man, wie die alten Javaner zu dem Baustil kamen, der sich in diesen und in anderen Tempeln Mitteljavas ausdrückt. Die Hauptkulturpflanze der westlichen Hälfte des malayischen Archipels ist der Reis, und wohl schon seit undenklichen Zeiten hat man es auf Java verstanden, ihn auf sogenannten nassen Feldern zu kultivieren, die terrassenförmig an den sanft ansteigenden Hängen der Berge übereinander liegen. Jeder Tropfen Flüssigkeit, der von einem oberen Felde abfließt, gelangt in das nächstuntere und so weiter, und kein Tropfen der das Wachstum befördernden Flüssigkeit wird vergeudet. Jeder sanft geneigte Berghang ist über und über mit den terrassenförmigen Reisfeldern bedeckt. Das sieht man jetzt überall in ganz Java. Vor tausend Jahren hat man aber höchstwahrscheinlich an vielen Stellen ganz ebenso die Reiskultur betrieben, und es ist kein Wunder, daß man architektonisch das verwertete, was das Auge täglich in Gestalt der saftig-grünen, Nahrung spendenden Getreidefelder vor sich sah.

Eine halbe Stunde von diesem Tempel entfernt befindet sich die Ruine des kleinen Mendut-Tempels, eine Tempelkammer, die frei auf einem niederen Aufbau steht und in ihrer inneren Halle drei Kolossalstatuen des auf einer Lotosblume sitzenden Buddha enthält. Die Figuren zeichnen sich durch große Korrektheit in der Behandlung der menschlichen Gestalt aus. Der Gesichtsausdruck trägt die stille Hoheit, die weltentrückte Ruhe und Sammlung, die den meisten Buddhabildern eigen ist.

Von hier führte mich mein Weg nach Djokjokarta, der Hauptstadt des gleichnamigen Fürstentums, das ebenso wie das Fürstentum Surakarta nominell selbständig ist. Das ist aber eitel Spiegelfechterei. Die »Souveräne« dieser beiden Länder besitzen jeder eine Leib- oder Ehrengarde von 60 Mann, welche ausschließlich aus niederländischen Soldaten besteht und in jeder Beziehung gut auf den Fürsten aufpaßt. Durch den Mund des Fürsten wird das Volk regiert, aber das Ohr des ersteren darf sich den Worten des holländischen Residenten, der ihm wie ein »älterer Bruder« zur Seite steht, nicht verschließen. Ein holländisches Fort neben der Residenz zeigt am besten, was diese Unabhängigkeit zu besagen hat. In Djokjokarta besah ich die neue Stadt und den malerischen alten Fürstenpalast, der vor 170 Jahren erbaut worden ist, aber schon seit lange nicht mehr benutzt wird.

Den folgenden Morgen widmete ich einem anderen Ausflug, um


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Das Original des Werkes wurde freundlicherweise von der Universitätsbibliothek Köln zur Verfügung gestellt. Einscannen und bearbeiten durch Frank Al-Dabbagh, Oktober, 2003.
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© Kurt Stueber, 2003