Richard Semon: Im australischen Busch und an den Küsten des Korallenmeeres. (1903)

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Jahreszeit und Fortpflanzungsperiode. 469

welt, die ja in letzter Linie die Nahrungsquelle aller Tiere darstellt, in ihrer vollen Entfaltung begriffen ist. Nur unsere Haustiere machen davon eine Ausnahme, unsere Pferde, Rinder, Schafe, Schweine, Hunde. Aber dadurch, daß sie sich im Zustande der Domestikation befinden, sind sie auch jenen äußern Verhältnissen nahezu entrückt; sie besitzen warme Ställe, erhalten im Sommer und Winter reichlich Nahrung und sind dadurch, wie der Mensch selbst, für sich und ihre Jungen von dem Wechsel der Jahreszeiten verhältnismäßig unabhängig.

Die Tropenzone kennt keinen scharf ausgesprochenen Wechsel von warm und kalt, von Sommer und Winter, aber trotzdem befindet sich die Pflanzenwelt der Tropen in den weitaus meisten Gegenden nicht beständig unter den gleichen Bedingungen. Fast überall begegnen wir dort einem regelmäßigen Wechsel von feucht und trocken, von Regenperiode und Trockenzeit. In der ersteren schießen die Gräser überall üppig hervor, die Bäume wachsen und erzeugen neue Blätter, alle Gewächse treiben Blüten. In der Trockenzeit verdorren alle zarteren Pflanzen, das Land verwandelt sich stellenweise in eine Wüste, und den pflanzenfressenden Tieren ist ihr Nahrungserwerb fast ebenso erschwert, wie bei uns, wenn Eis und Schnee den Boden bedeckt. So finden wir denn, daß auch die meisten Tropentiere eine deutlich umschriebene Fortpflanzungszeit besitzen, daß der Beginn derselben vielfach mit dem Eintritt der Regenperiode zusammenfällt, und daß sie aufhört, wenn die Trockenzeit einsetzt.

In Buitenzorg und an den Abhängen des Gedeh herrschen dagegen exceptionelle Verhältnisse, es herrscht überhaupt keine eigentliche Trockenzeit. Fast das ganze Jahr hindurch fällt täglich ein mehr als ausgiebiger Gewitterregen, die Pflanzen treiben, grünen und blühen das ganze Jahr hindurch, die Tiere finden deshalb in dem einen Monat die gleiche Nahrung, die gleichen Existenzbedingungen wie in dem andern, und sie befinden sich deshalb in dieser Beziehung durchaus in ähnlichen Verhältnissen wie unsre Haustiere. Kein Wunder, daß daher ihre anderwärts fest fixierte Fortpflanzungsperiode in sehr weiten Grenzen, fast über das ganze Jahr hin, zu schwanken beginnt. Mein Aufenthalt in Java war ein zu kurzer und meine Beobachtungsreihe deshalb zu wenig vollständig, um zu einem abschließenden Resultat zu gelangen. Es wäre interessant, zu untersuchen, wie sich die gleichen Arten, die in Buitenzorg keine fixierte Fortpflanzungszeit zu besitzen scheinen, in Batavia verhalten, das schon eine zweimonatige Trockenperiode besitzt, oder in Ostjava, wo sich diese Trockenperiode auf noch längere Zeit ausdehnt. Derartige biologische


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Das Original des Werkes wurde freundlicherweise von der Universitätsbibliothek Köln zur Verfügung gestellt. Einscannen und bearbeiten durch Frank Al-Dabbagh, Oktober, 2003.
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© Kurt Stueber, 2003