Richard Semon: Im australischen Busch und an den Küsten des Korallenmeeres. (1903)

Volltext

[Vorige Seite][Index][Nächste Seite]

Nachtquartier am »Rhinoceros-Lager«.

verschwindet mehr und mehr. Wir bemerken Gewächse, die uns von Jugend an vertraut sind, mehrere Arten wilder Brombeeren, Erica, Hahnenfuß, Veilchen; auch unsere Erdbeere, Fragaria vesca, wächst hier oben. Nach einer weiteren halben Stunde gelangen wir an einen freien Platz, an dem sich eine kleine ganz primitive Schutzhütte, richtiger gesagt ein Schutzdach befindet. Es wird Kadang badak genannt, das Rhinoceros-Lager, wahrscheinlich weil früher dieser Ort von den plumpen Dickhäutern bevorzugt worden ist. Hier müssen wir übernachten, denn die Dunkelheit beginnt hereinzubrechen. Wir kochen Kaffee und genießen von den mitgenommenen Mundvorräten, dann hüllen wir uns in unsere Decken und erfreuen uns noch eine Weile an dem herrlich gestirnten Himmel. Hier oben sind wir aus der Wolkenregion heraus, und während es in Buitenzorg in Strömen regnet, genießen wir die sternhelle, trockene, etwas kalte Tropennacht.

Es hat mir immer besonderes Vergnügen gemacht zu beobachten, daß bei Vergleichung verschiedenartiger Menschenrassen man einmal überrascht ist von der Mannigfaltigkeit ihrer Sitten und Gewohnheiten, den Unterschieden in der Betätigung ihres geistigen Lebens; wie man aber andererseits doch immer dieselben allgemein menschlichen Grundzüge wiederfindet. Die gleiche Liebe und der gleiche Haß, Aufopferungsfähigkeit, Selbstsucht bewegen ebenso die Brust des australischen Wilden, wie die des gebildeten Europäers, und sie äußern sich auch oft in überraschend ähnlicher Weise. Außer diesen großen Zügen aber gibt es noch einen kleinen, den ich ebenfalls durchgehend bei allen Menschen, mit denen ich in Berührung gekommen bin, beobachtet habe. Es ist die Neigung, abends nach dem Niederlegen noch ein halbes Stündchen zu schwatzen, auch wenn man ein tüchtiges Tagewerk hinter sich hat, gehörig ermüdet ist und schon den ganzen Tag über Zeit gehabt hat, seine Gedanken auszutauschen. Das taten meine Australier in ihren Rindenzelten, das taten meine papuanischen Begleiter am Garafluß, meine afrikanischen Nachbarn in Lokodja am Niger, als ich dort wochenlang krank am Fieber daniederlag, das tun auch unsere Soldaten im Manöver und die Alpenreisenden, mit denen man in einer Klubhütte übernachtet. Jetzt sah ich, daß auch die malayische Rasse hierin keine Ausnahme macht, und erst mein Machtspruch »Kita orang tidor«, »wir schlafen», schaffte mir die gewünschte Nachtruhe.

Am nächsten Morgen erhoben wir uns vor Sonnenaufgang, Neïbi kochte rasch Kaffee für mich, und dann traten wir den Aufstieg zum


Faxsimile (Scan) dieser Textseite.

Das Original des Werkes wurde freundlicherweise von der Universitätsbibliothek Köln zur Verfügung gestellt. Einscannen und bearbeiten durch Frank Al-Dabbagh, Oktober, 2003.
Dieses Buch ist Teil von www.biolib.de der virtuellen biologischen Fachbibliothek..
© Kurt Stueber, 2003