Richard Semon: Im australischen Busch und an den Küsten des Korallenmeeres. (1903)

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456 Java.

Während meines zweiwöchigen Aufenthalts in Buitenzorg war ich oft mit mir zu Rate gegangen, wie ich wohl die fünf Monate, die mir noch blieben, am nutzbringendsten anwenden könnte. Da mein Ziel in erster Reihe darauf gerichtet war, Material für die bisher noch arg vernachlässigte Entwicklungsgeschichte tropischer Tierformen zu sammeln, so hatte ich die Wahl zwischen zwei Aufgaben. Entweder ich suchte die Waldwildnis einer der großen Sundainseln auf, am besten Sumatras oder Borneos, und richtete mein Hauptaugenmerk auf gewisse Säugetierformen, die merkwürdigen Halbaffen, die echten Affen und besonders ihre höchst entwickelten menschenähnlichen Vertreter Gibbon und Orang-Utan. Oder aber ich begab mich auf eine der Molukkeninseln und widmete mich dort an den korallenreichen Gestaden der Molukkensee der marinen Zoologie; vielleicht hatte ich Glück und es gelang mir, die Entwicklungsgeschichte des merkwürdigen Kopffüßers Nautilus aufzuklären, des einzigen lebenden Verwandten der sonst längst ausgestorbenen vierkiemigen Cephalopoden. Das wäre ein glänzender Abschluß meiner so glücklich begonnenen entwicklungsgeschichtlichen Sammlungen gewesen. Die Erfolge in Australien waren mir zu Kopfe gestiegen, ich sah mich schon im Geiste im Besitz einer vollkommenen Entwicklungsserie des Nautilus pompilius. So beschloß ich denn, nach der Insel Ambon zu gehen, um dort mein Glück zu versuchen.

Der nächste Molukkendampfer ging von Batavia am 11. Dezember ab; bis dahin hatte ich noch 1 1/2 Woche Zeit und diese benutzte ich zum Besuche der zum botanischen Garten gehörigen Bergstation Tjibodas, die auf halber Höhe des Vulkans Gedeh, 1425 Meter über dem Meere, inmitten eines prachtvollen Bergwaldes liegt.

Am 1. Dezember 6 Uhr morgens wollte ich aufbrechen; der Wagen war auch pünktlich zur Stelle. Mein javanischer Diener Kudjong. den ich bald nach meiner Ankunft in Buitenzorg engagiert hatte und der mich auf meinen weiteren Reisen begleiten sollte, ließ sich nicht blicken, ebensowenig ein anderer, namens Neïbi, den ich ausschließlich zum Schmetterlingsfang angestellt hatte. Im Hotel schlief noch Alles, Kudjong hatte nichts vorbereitet, und nachdem ich rasch meine Sachen gepackt und vergebens versucht hatte, mir etwas Frühstück zu verschaffen, trat ich nüchtern und einsam meine Fahrt an.

Die Verständigung mit den Leuten wurde mir damals noch ziemlich schwer. Vor meiner Abreise aus Europa hatte ich angefangen, etwas Malayisch zu treiben, ich hatte es dann aber auf meinen Wanderungen in Australien und Neu-Guinea ganz aufgegeben und


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Das Original des Werkes wurde freundlicherweise von der Universitätsbibliothek Köln zur Verfügung gestellt. Einscannen und bearbeiten durch Frank Al-Dabbagh, Oktober, 2003.
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© Kurt Stueber, 2003