Richard Semon: Im australischen Busch und an den Küsten des Korallenmeeres. (1903)

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450 Java.

»Kabaja«, strumpflos in Pantoffeln gehen die Damen in Niederländisch-Indien den ganzen Tag herum; auch deutsche und englische Damen, die sich länger dort aufhalten, folgen der bequemen Sitte. Erst abends vor dem eigentlichen Diner macht man europäische Toilette. Eine ähnliche Kleidung wird auch von den weißen Männern getragen, mit dem einzigen Unterschied, daß das Sarong zu einer richtigen Hose verarbeitet ist. Allerdings begibt man sich so nicht auf die Straße, aber man trägt den Sarong im eignen Hause, setzt sich in ihm ungeniert an die Reistafel im Hotel und geht in ihm bis zur Abendstunde auf den Schiffen herum. Die Holländer und die meisten fremden Besucher, die länger dort geweilt haben, sind sehr von dieser Tracht entzückt. Sie ist in der Tat außerordentlich angenehm und dem Klima entsprechend, auch keineswegs unanständig. Warum sollen halbentblößte Füße unschicklicher sein als bloße Arme und Schultern, gegen die doch in Europa niemand etwas einzuwenden hat? Meiner Ansicht nach bringt aber diese Kleidung manche Übelstände für das gesellschaftliche Leben in Holländisch-Indien mit sich. Die Damen müssen sich, wenigstens in allen größeren Orten, umziehen, wenn sie ausgehen wollen, und da ihnen dies bald unbequem und lästig wird, lassen sie es lieber ganz und bleiben zu Hause. Es gilt als unschicklich, tagsüber, so lange sich die Bewohner im Sarong befinden, bei Fremderen Besuch zu machen, und diese Beschränkung wirkt schädlich auf einen ungezwungenen geselligen Verkehr. Wie dem auch sei, es ist eben Landessitte, die zweifellos entschiedene Vorteile mit sich bringt.

. Alle Vorstellungen, die ich gestützt auf meine aus Büchern erworbenen Kenntnisse dieser Sitten vorbrachte, vermochten nicht das beleidigte Anstandsgefühl der Passagiere der Wodonga zu besänftigen und sie mit der Reistafel zu versöhnen. Das Diner am Abend, das wirklich schlecht war, nahmen sie mit schweigender, aber um so schneidenderer Verachtung entgegen. Zum Schluß wallten die Wogen des Unmuts noch einmal hoch auf; es gab kalten Kaffee! In der Tat wurde ein kalter Kaffee-Extrakt serviert, dem man durch Zugießen von heißer Milch die richtige Temperatur verleihen sollte. Das war zuviel. Der Major sprang auf und befahl den Wagen für morgen früh zum ersten Zug. »Lieber will ich mich in dem heißen Batavia zu Tode braten lassen, ehe ich in diesem Hotel noch eine einzige Mahlzeit einnehme.« Ursprünglich hatte man beabsichtigt, bis zum nächsten Nachmittag dort zu bleiben.

Als wir nach diesem ereignisvollen Mahl auf die Veranda des Hotels heraustraten, hatte der Regen aufgehört, eine balsamische Luft,


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Das Original des Werkes wurde freundlicherweise von der Universitätsbibliothek Köln zur Verfügung gestellt. Einscannen und bearbeiten durch Frank Al-Dabbagh, Oktober, 2003.
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© Kurt Stueber, 2003