Richard Semon: Im australischen Busch und an den Küsten des Korallenmeeres. (1903)

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Verwandtschaftsbeziehungen der papuanischen Rasse.

körperlichen Übereinstimmungen würden auch manche Züge im Charakter und Temperament beider Rassen dafür sprechen. Andererseits gibt es nur wenige und keineswegs durchgreifende ethnographische Merkmale, die sich in diesem Sinne verwerthen ließen. Keine Spur einer Verwandtschaft der Negersprachen mit denen der Papuas hat sich bisher nachweisen lassen.

Hier wie bei vielen anderen anthropologischen Grundfragen müssen wir zum Schluß ein großes Fragezeichen setzen, und könnte es fast scheinen, als ob diese Wissenschaft überhaupt dazu verurteilt sei, auf alle weiteren Verallgemeinerungen resigniert zu verzichten. Es gibt aber kaum eine zweite Wissenschaft, die noch so wenig die Kinderschuhe ausgetreten hat, deren Thatsachenmaterial noch so lückenhaft und zum großen Teil unzuverlässig, deren Methoden noch so unsichere und schwankende sind. Dazu kommt, daß zur Lösung dieser Probleme Forscher gehören, die nahezu Übermenschliches zu leisten hätten. Sie müssen in gleicher Weise Anthropologen, das heißt Naturforscher, sie müssen Ethnographen und Linguisten sein, und sie müssen die Rassen, deren Beziehungen sie ergründen wollen, aus persönlicher Anschauung, aus der Beobachtung ihres Lebens in ihrer Heimat kennen, nicht durch bloßes Studium von Büchern, durch Arbeit am grünen Tisch oder im Museum.

Ein beherrschender Geist, der die bisher vielfach zusammenhangslos nebeneinander arbeitenden Wissenschaften der physischen Anthropologie, Ethnographie und vergleichenden Sprachforschung zu einem einheitlichen Ganzen zusammenfaßte und die Grundzüge einer wissenschaftlichen Anthropologie in weiterem Sinne vorzeichnete, ist dem neunzehnten Jahrhundert nicht erstanden, so viele gewissenhafte und begabte Sammler und Forscher auch in den Einzelgebieten tätig gewesen sind. Groß sind vielfach die Fortschritte im einzelnen, aber ein zusammenfassendes Band fehlt noch überall, und deshalb ist auch das Interesse der Gebildeten an diesen Fragen ein sehr geringes, obwohl sie wie wenig andere die Grundlagen naturwissenschaftlicher wie historischer Bildung berühren. In unseren Schulen wird darüber nichts oder ganz Unzugängliches gelehrt, und wie ließe sich doch gerade hierdurch der trockene und spröde Stoff der Erdbeschreibung interessant machen. An unsern Universitäten finden wir Anthropologie und Ethnographie häufig nur ganz nebenbei, häufig gar nicht vertreten. Aber freilich, sie bedürfen erst noch weiterer Entwicklung, um als ebenbürtige Wissenschaft neben die anderen zu treten und Gleichberechtigung mit ihnen zu verlangen.

Als wir am Nachmittag des 22. Mai uns eben zur Abfahrt von


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Das Original des Werkes wurde freundlicherweise von der Universitätsbibliothek Köln zur Verfügung gestellt. Einscannen und bearbeiten durch Frank Al-Dabbagh, Oktober, 2003.
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© Kurt Stueber, 2003