Richard Semon: Im australischen Busch und an den Küsten des Korallenmeeres. (1903)

Volltext

[Vorige Seite][Index][Nächste Seite]

Religion.

ihren Trauerfeierlichkeiten, während der Abwesenheit ihrer Verwandten auf gefährlichen Expeditionen, oder auch dann wenn es zu viel oder zu wenig regnet, gewisse Zeremonien, die mehr unter den Begriff der Zauberkunst als eines religiösen Kultus fallen. Sie haben große Angst vor Zauberern, einzelnen Individuen oder ganzen Stämmen, und suchen sich mit denjenigen, die sie im Besitze jener Kraft glauben, auf jede Weise gut zu stellen. Krankheit, besonders Irrsinn, gilt als Behexung. Wie ihr Ahnenkultus beweist, glauben sie an ein Fortleben der Seele nach dem Tod. Alle diese Vorstellungen und Gebräuche sind aber so wenig bestimmt und so verworren, daß sie eben nur die Uranfänge einer Religion darstellen und sich noch in durchaus flüssigem Zustande befinden. Viel genauere Kenntnisse, als wir sie heute besitzen, sind erforderlich, um zu irgend welchen Verallgemeinerungen für die ganze Insel zu gelangen, dasjenige, was fremde Zutat ist, auszuscheiden und einen durchgeführteren Vergleich mit den Religionen und Gebräuchen der Nachbarvölker zu wagen.

Die Papuas sind Polygamisten, und die Ehe ist nur eine lockere: oft verstößt der Mann seine Frau oder trennt sich auch gütlich von ihr und löst die Ehe ohne große Zeremonien, wie er sie eingegangen ist. Von so durchgearbeiteten komplizierten Vorschriften bei der Schließung der Ehe und Verboten der Vereinigung engerer oder fernerer Blutsverwandten wie in Australien findet sich nirgends etwas in Neu-Guinea. Einweihungszeremonien der mannbaren Jünglinge existieren hier und da, so zum Beispiel im Golf von Papua, haben aber nicht die Bedeutung und Heiligkeit der entsprechenden Gebräuche der Australier, von denen sie vielleicht in jenen Distrikten über die Inseln der Torresstraße hin übernommen worden sind. Dort finden wir auch eigentümliche zeremonielle Tänze, zu denen phantastisch gestaltete Masken benutzt werden, die den östlicheren Distrikten fremd sind. An diesen Tänzen dürfen nur die erwachsenen eingeweihten Jünglinge und Männer teilnehmen.

Die Stämme am Golf von Papua haben insofern ein besonderes Interesse, weil sie von polynesischen Einflüssen weniger berührt worden sind als die weiter im Osten lebenden. Nur dürfen wir dabei nicht vergessen, daß ein gewisser, wenn auch wohl nur schwacher Einfluß von Australien her bei ihnen nicht ausgeschlossen ist.

Ein so phantasiereiches Volk wie die Papuas besitzt natürlich zahlreiche Mythen, die oft in poetischer Form die Geschichte des Stammes, seine Wanderungen und Kulturfortschritte schildern. Doch ist weder Poesie, noch Gesang, noch Musik überhaupt die starke Seite unsrer Freunde. Die Natur hat sie aber zu bildenden Künstlern


Faxsimile (Scan) dieser Textseite.

Das Original des Werkes wurde freundlicherweise von der Universitätsbibliothek Köln zur Verfügung gestellt. Einscannen und bearbeiten durch Frank Al-Dabbagh, Oktober, 2003.
Dieses Buch ist Teil von www.biolib.de der virtuellen biologischen Fachbibliothek..
© Kurt Stueber, 2003