Richard Semon: Im australischen Busch und an den Küsten des Korallenmeeres. (1903)

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432 Neu-Guinea. Vom Südkap bis zum Ostkap.

gibt, die ihr Leben einsetzen, um einen in Not befindlichen Freund herauszuhauen.

Über den Verstand der Papuas hört man recht verschiedene Urteile. Mir schien derselbe durchweg nicht gering entwickelt. Hoch steht er über dem der Australier, während er ebenso tief unter dem der Negerrasse zurückbleibt. Wenn wir ihn aber mit dem der Neger vergleichen, müssen wir nicht aus den Augen verlieren, daß wir einen ungemein hohen Maßstab anlegen, denn die Kulturstufe der Negervölker ist zwar fast durchweg eine sehr tiefe, ihre Fähigkeiten aber sind so bedeutend, daß sie, wie viele Beispiele in Nordamerika lehren, in beinahe jeder Beziehung in Wettbewerb mit den Kaukasiern treten können. Nur wenige andere Rassen auf der Erde dürften ihnen das nachmachen. Vergleichen wir die Papuas nur mit ihren Nachbarn im Norden und im Osten, den Malayen und Polynesiern, so hören wir, daß Wallace, einer der feinsten und sachlichsten Beobachter, der 8 Jahre lang im malayischen Archipel gelebt hat, der Ansicht ist, die Papuas stünden den Malayen in geistiger Hinsicht ziemlich gleich, überträfen sie vielleicht sogar. Es ist möglich, daß letzterer Ausspruch doch einer etwas zu günstigen Meinung entstammt, denn die weißen Missionäre, welche die beste Gelegenheit haben, sich über die Intelligenz der Papuas ein Urteil zu bilden, stellen die Fähigkeiten ihrer papuanischen Missionsschüler nicht allzu hoch, entschieden unter die der polynesischen.

Es ist schwierig, über Religion und Kult der Papuas im allgemeinen zu sprechen, denn in dieser Beziehung sind die Unterschiede bei verschiedenen Stämmen bedeutend, und unsere Kenntnisse sowohl intensiv als extensiv noch viel zu gering, um das Wesentliche vom Unwesentlichen zu trennen. Wir können aber doch sagen, daß die religiösen Vorstellungen fast durchweg sehr unentwickelte sind, und daß der religiöse Kultus eine Nebenrolle im Leben der Papuas spielt. Nur der Ahnenkultus ist hiervon auszunehmen, der gewöhnlich in feste und zum Teil strenge Normen gefügt ist. Besonders äußert sich das in einer langdauernden, entsagungsreichen Trauer um die jüngst verblichenen nahen Angehörigen. Die Aufbewahrung der Schädel, das Tragen von Unterkieferarmbändern wurde schon erwähnt. Aus Holz geschnitzte Ahnenbilder, denen man eine besondere Verehrung widmet, finden sich an vielen Teilen der Insel, aber nicht an der Südostecke, die ich besucht habe.

Die Bewohner Südost-Neu-Guineas, deren Bekanntschaft ich gemacht habe, scheinen keinen eigentlichen Gottesbegriff zu kennen. Sie haben eine Anzahl abergläubischer Gebräuche, verrichten bei


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Das Original des Werkes wurde freundlicherweise von der Universitätsbibliothek Köln zur Verfügung gestellt. Einscannen und bearbeiten durch Frank Al-Dabbagh, Oktober, 2003.
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© Kurt Stueber, 2003