Richard Semon: Im australischen Busch und an den Küsten des Korallenmeeres. (1903)

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424 Neu-Guinea. Vom Südkap bis zum Ostkap.

eben unter den Wilden auch konservative Elemente, die den Neuerungen abhold sind und es nicht gern haben, wenn man ihnen sagt, es wäre unrecht, seine Feinde hinterrücks zu überfallen, Männer, Weiber und Kinder totzuschlagen, die Schädel zur Ausschmückung der Häuser zu verwenden und das Fleisch als guten Braten zu servieren. Die Fehden der Papuas bestehen fast immer in solchen heimlichen Überfällen und zeichnen sich unvorteilhaft vor den Kriegen andrer wilden Völker dadurch aus, daß man die Weiber und Kinder ebenso mordet, wie die erwachsenen Männer. Man sieht in ihnen die zukünftigen Rächer oder die Erzeugerinnen von Rächern und hat überhaupt das Bestreben, den überfallenen Stamm so zu dezimieren, daß er sobald an Vergeltung nicht denken kann. Gewöhnlich erfolgt aber über kurz oder lang ein ähnlicher Handstreich von selten der früher Überfallenen, der dann später wieder neue Sühne erfordert. So kommt es, daß diese feigen Fehden unter den Eingeborenen nicht aufhören wollen, und daß Zerrissenheit und Zwiespalt überall herrscht, obwohl der Papua von Charakter eigentlich nicht bösartig ist.

Maanaima sagte mir mit Stolz, daß er doch schon während seines halbjährigen Wirkens ausgezeichnete Erfolge zu verzeichnen habe. Kannibalismus käme jetzt kaum noch vor, auch habe er viele Eingeborene überredet, den Hauptschmuck ihrer Häuser, die Menschenschädel, die als Andenken an verstorbene liebe Anverwandte oder auch als Kriegstrophäen aufgehängt werden, an einer besonderen Stelle vor dem Missionshause zu vergraben. Ich sprach dem wackeren Manne meine aufrichtige Anerkennung und Bewunderung für diese Erfolge aus und schlug ihm vor, sein Werk nun noch zu krönen und die anstößigen Schmuckgegenstände, die er glücklich aus den Häusern entfernt hätte, der Wissenschaft zugänglich zu machen, indem er mir half, sie auszugraben und mitzunehmen. Zuerst wollte ihm das nicht recht einleuchten, endlich aber willigte er ein und in einer sternhellen Nacht machten wir uns wie zwei heimliche Schatzgräber ans Werk, nachdem wir uns überzeugt hatten, daß alles um uns herum in tiefem Schlummer lag. Es wäre im Interesse der Mission nicht gut gewesen, wenn die Leute erfahren hätten, daß wir die der Erde übergebenen Schädel herausgenommen und meinen Sammlungen einverleibt hätten. Eine Anzahl papuanischer Schädel, wohlerhalten, aber etwas rauchgeschwärzt, war das Resultat unserer verstohlenen Nachtarbeit und bildet noch jetzt einen kostbaren Bestandteil meiner Sammlung.

Ich machte Maanaima darauf aufmerksam, daß den sämtlichen Schädeln die Unterkiefer fehlten, und fragte, was mit denselben eigent-


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Das Original des Werkes wurde freundlicherweise von der Universitätsbibliothek Köln zur Verfügung gestellt. Einscannen und bearbeiten durch Frank Al-Dabbagh, Oktober, 2003.
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© Kurt Stueber, 2003