Richard Semon: Im australischen Busch und an den Küsten des Korallenmeeres. (1903)

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Paradiesvögel. 409

über all dieser Fülle von Glanz, Farben und phantastischen Formen zu thronen scheint. Dazu kommt das froh bewegliche und sympathische Wesen der Vögel selbst, die sich ihrer Schönheit gleichsam freuen und stolz auf dieselbe ihr Gefieder ausbreiten und entfalten, keine langweiligen selbstgefälligen Schauobjekte, wie die Pfauen es sind, sondern lebensvolle und lebensfrohe Bewohner ihrer prächtigen Heimatswälder.

Die Paradiesvögel sind durchaus Kinder Neu-Guineas. Sie sind auf die Hauptinsel und die ihr unmittelbar anliegenden Trabanten, die noch vor verhältnismäßig kurzer Zeit mit ersterer zusammenhingen, beschränkt. Nur eine einzige Gattung, die berühmten »rifle-birds« Ptiloris, kommt auch in Nordaustralien vor; bloß eine Art, Semioptera wallacei, ist auf den Molukken und zwar auf Batjan gefunden worden. Das sind aber auch die einzigen Ausläufer, und im übrigen ist die Familie streng papuanisch.

Ich muß es mir hier versagen, näher auf die Verbreitung, Lebensweise und Formbeschreibung der Paradiesvögel einzugehen, denn andere Naturforscher wie Wallace, Rosenberg, d'Albertis haben ihrer Jagd und ihrer Beobachtung unvergleichlich mehr Zeit und Mühe gewidmet, und besonders der erstere hat in seinem Reisewerk so anziehende und farbenprächtige Schilderungen der paradiesischen Geschöpfe geliefert, daß meine eigene Beschreibung nur ein schwacher Abklatsch sein würde. Ich schoß an diesem Tage zwei Paradisea raggiana, ein Weibchen und ein junges Männchen mit noch nicht völlig entwickeltem Gefieder; außerdem tat ich, wie ich nur gestehen will, eine Anzahl Fehlschüsse, weil es wirklich schwer war, auf die rastlos im Dunkel der Baumkronen sich bewegenden Geschöpfe einen Schuß anzubringen. Wie die Kolibris nähren sich die Paradiesvögel von dem Nektar der Baumblüten, vorwiegend aber auch von Früchten und von Insekten, denen sie, geschickt von Zweig zu Zweig fliegend und behende durch das Blätterwerk schlüpfend, nachjagen. Bemerken sie den Jäger, so pflegen sie nicht abzustreichen, sondern sich lieber im dichtesten Gezweig der Baumkronen zu verbergen. Trotz ihrer Buntheit und ihrer auffallenden Formen gelingt ihnen dies meist vollkommen. Es wird vielleicht den meisten meiner Leser bekannt sein, daß die Paradiesvögel, obwohl sie eine eigene Familie bilden, sehr nahe mit den Rabenvögeln verwandt sind. Daß sich aus den letzteren, die sich doch zumeist mehr durch Klugheit als durch Schönheit auszeichnen, die schönste aller Vogelfamilien entwickelt hat, ist wohl in erster Linie den besonderen Verhältnissen ihrer Heimat zuzuschreiben. In dieser sind bei der gänzlichen Abwesenheit von Affen,


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Das Original des Werkes wurde freundlicherweise von der Universitätsbibliothek Köln zur Verfügung gestellt. Einscannen und bearbeiten durch Frank Al-Dabbagh, Oktober, 2003.
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© Kurt Stueber, 2003