Richard Semon: Im australischen Busch und an den Küsten des Korallenmeeres. (1903)

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410 Neu-Guinea. Vom Südkap bis zum Ostkap.

Halbaffen, Katzen, Mardern und Eichkatzen, den gefährlichsten Räubern der Waldvögel und ihrer Nester und Nestlinge, besonders günstige Verhältnisse für die Züchtung der Vögel auf Form und Farbenschönheit gegeben. Die Tagraubvögel können den Bewohnern der dichten Wälder nicht viel anhaben, und deshalb vermochte die geschlechtliche Zuchtwahl, die in diesem Falle in ihrer Wirksamkeit durch das Bedürfnis der Tiere nach Schutz und Verbergen wenig gehemmt wurde, so auffallende Geschöpfe zu schaffen.

Die Eingeborenen von Neu-Guinea stellen überall den Paradiesvögeln nach, weil sie es lieben, sich aus ihren Federn Diademe zum Haarputz, Körperschmuck, Verzierungen ihrer Geräte zu verfertigen. In Nordwest-Neu-Guinea, wo die Eingeborenen schon seit langer Zeit in Berührung mit den Weißen getreten sind, treiben sie die Jagd sogar zu Handelszwecken und liefern auch seit alters jährlich viele Bälge nach Tidore als Tribut an ihren Oberherrn, den Sultan von Tidore. Auch begeben sich Tidoresen und Ternataner nach Neu-Guinea zur Jagd auf Paradiesvögel. Von Ternate werden die Bälge dann weiter nach Europa verschickt und begegnen uns in unsern Museen und auf den Hüten unsrer Damen wieder. In ganz Süd-Neu-Guinea dagegen betreiben die Eingeborenen die Jagd nur für ihre eigenen Bedürfnisse.

Nachdem wir den ganzen Tag über herumgestrichen waren, und ich eine ziemliche Menge schöner Schmetterlinge und interessanter Käfer gefangen hatte, kamen wir gegen 4 Uhr wieder an den Fluß und hörten durch einen unsrer Leute, daß unser Kanoe, das inzwischen langsam die Windungen des Flusses heraufgerudert war, nicht ferne sei. Mehr als ein dutzendmal hatten wir an diesem Tage den Fluß zu überschreiten gehabt. Da das Wasser stellenweise über einen Meter tief war, hatte ich es vorgezogen, mich durch meinen schwarzen Begleiter durchtragen zu lassen, weil ich die häufige Durchnässung und das Trocknen der Kleider am Körper für gefährlich hielt. Es hatten sich uns am Nachmittag eine Anzahl Eingeborener aus dieser Gegend angeschlossen und ich hatte einen Augenblick gezögert, mich dem Rücken dieser wilden Gesellen anzuvertrauen. Denn natürlich ist man, so lange man getragen wird, ganz hilflos, und die Versuchung liegt für die Eingeborenen nahe, sich durch einen Speerstoß oder Keulenschlag in den Besitz all der schönen Sachen zu setzen, die der Fremde bei sich trägt. Weniger reizt der Körper des Mannes selbst die kannibalischen Gelüste der Wilden. Nur äußerst selten sind Weiße, die von Kannibalen ermordet worden sind, gefressen worden. Die Körper werden zerstückelt, die Köpfe als Trophäen benutzt; es


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Das Original des Werkes wurde freundlicherweise von der Universitätsbibliothek Köln zur Verfügung gestellt. Einscannen und bearbeiten durch Frank Al-Dabbagh, Oktober, 2003.
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© Kurt Stueber, 2003