Richard Semon: Im australischen Busch und an den Küsten des Korallenmeeres. (1903)

Volltext

[Vorige Seite][Index][Nächste Seite]

Verschiedener Charakter der Urwälder. 407

überzogen. Zwischen den Stämmen wuchs fast kein Unterholz, nur eine Menge von Farnen und Lycopodien. Überall war der Boden mit moderndem Holze bedeckt, und es war stellenweise sehr schwierig, auf dem moorigen Grunde zwischen den moosbedeckten Wurzeln und dem schlüpfrigen Holze herumzuklettern. Leider hatte ich keine benagelten Stiefeln an und kam mir mit meinem vorsichtig tastenden Gang wahrhaft hilflos vor gegenüber meinem eingeborenen Begleiter, der mit seinen bloßen Füßen sicher und leicht einherschritt, als ginge er auf einem gut gehaltenen Promenadenwege. Unser Schuhwerk hat ja gewisse Vorzüge. Es bewahrt in unseren Breiten die Füße vor Kälte, gewährt in den Tropen Schutz gegen Dornen, Bambus und scharfe Gräser, gegen Insektenstiche und Schlangenbiß, aber es bewirkt unter Verhältnissen, wie ich sie eben geschildert habe, eine fast komische Schwerfälligkeit und Plumpheit des Ganges, und veranlaßt, daß man sich den unbeschuhten Wilden gegenüber recht wie ein degeneriertes Kulturprodukt vorkommt und ihre Hilfe bei einer so elementaren Verrichtung wie dem Gehen und Klettern mit einem gewissen Gefühl der Beschämung entgegennimmt.

Überall über uns hörten wir die Stimmen der Paradiesvögel, besonders der Paradisea raggiana, die in dieser Gegend sehr häufig ist. Auch der entzückende kleine Königsparadiesvogel, Cicinnurus regius, ist nicht selten, und ebenso der prachtvolle Epimachus (Seleucides) nigricans, der zur Gruppe der langschnäbeligen Paradiesvögel oder Epimachiden gehört. Auch zahlreiche Kakadus trieben über uns in den Kronen der Waldbäume ihr Wesen. Das Dunkel war aber zu tief und der Tag bereits zu weit vorgeschritten, um einen sicheren Schuß zu ermöglichen, und ich mußte für diesmal mit leeren Händen zu unserm Nachtquartier zurückkehren. Es war schon ganz dunkel, als wir anlangten. Assi und die Kanoeleute hatten es sich behaglich gemacht und sich auf dem erhöhten Boden der Hütte ausgestreckt, während einer der Eingeborenen in einer Ecke ein kleines Feuer entfacht hatte und in einem Thongefäß eine Anzahl Yams kochte. Leider war dies unsere einzige Nahrung, und obwohl ich seit dem Morgen nichts zu mir genommen hatte, war es mir unmöglich, mich daran wirklich zu sättigen. Diese Knollenfrüchte haben für mich einen beinahe widerlichen Geschmack, wenn ich sie in größerer Menge essen muß, und wenn auch Hunger der beste Koch ist, so vermag doch selbst er nur schwer einen ganz bestimmten Widerwillen zu überwinden. Die Nacht verbrachte ich auf dem Boden der Hütte, ohne Decken, eng zusammengepfercht mit Assi, Vaitupu und den sieben


Faxsimile (Scan) dieser Textseite.

Das Original des Werkes wurde freundlicherweise von der Universitätsbibliothek Köln zur Verfügung gestellt. Einscannen und bearbeiten durch Frank Al-Dabbagh, Oktober, 2003.
Dieses Buch ist Teil von www.biolib.de der virtuellen biologischen Fachbibliothek..
© Kurt Stueber, 2003