Richard Semon: Im australischen Busch und an den Küsten des Korallenmeeres. (1903)

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406 Neu-Guinea. Vom Südkap bis zum Ostkap.

So fuhren wir den ganzen Tag über den Fluß aufwärts. Nachmittags bewölkte sich der Himmel, und wir wurden durch einen zweistündigen Gewitterregen, dem wir im offenen Kanoe schutzlos ausgesetzt waren, bis auf die Knochen durchnäßt. Als der Regen endlich aufhörte, wollten die Eingeborenen, von deren nacktem Körper das Wasser einfach abtropfte, die Fahrt fortsetzen, ich fürchtete aber, daß ich mir ein Fieber zuziehen würde, wenn ich mich in den nassen Kleidern weiter rudern ließe. So wählten wir eine verlassene Hütte am Ufer als Nachtquartier, und da ich keine Kleider zum wechseln hatte, suchte ich durch einen tüchtigen Marsch und gehöriges Herumklettern im Wald den üblen Einwirkungen einer Erkältung vorzubeugen. Der Wald, der sich am rechten Flußufer ausdehnte, war ein prächtiger Hochwald und zeigte manches Eigenartige, das ihn vor anderen Urwäldern, die ich an den Bergen von Neu-Guinea und anderen Tropenländern gesehen habe, auszeichnet. Mit dem Begriff des Urwaldes verbinden wir gewöhnlich die Vorstellung des Undurchdringlichen, so dicht Verwachsenen, daß man sich überall erst seinen Weg mit Beil und Messer bahnen muß. Das dichte Unterholz und Gestrüpp, die mannigfaltigen Schlinggewächse, Kletterpalmen und andere Lianen sind es, die dem Vorwärtskommen tausend Schranken entgegensetzen. Ein Urwald, der sich eine Berglehne hinaufzieht, zeigt in der Mehrzahl der Fälle diese Erscheinung; denn da seine Baumkronen, so voll sie auch sein mögen, als ein Ganzes nicht in ein und demselben Niveau liegen, sondern mit der Neigung des Berges ansteigen, schließen sie nicht absolut dicht aneinander, sondern gestatten es noch zahlreichen Lichtstrahlen, durch sie hindurchzudringen, den Boden zu erreichen und dadurch den niederen Gewächsen die Möglichkeit des Gedeihens zu geben. Die Mehrzahl der eigentlichen Urwälder nun befindet sich an Berglehnen, weil hier die günstigsten Bedingungen gegeben sind, die Feuchtigkeit der Luft zum Niederschlag zu bringen. In seltneren Fällen entwickelt sich eine mächtige Waldvegetation auch auf ebenerem Terrain, besonders da, wo der Boden eine sumpfige Beschaffenheit zeigt. Hier wird nun das Blätterdach oft so dicht, daß so gut wie kein Licht mehr bis zum Boden durchdringen kann und ein Unterholzdickicht nicht aufkommt. Solche Sumpfwälder sind dann natürlich viel leichter zugänglich, und von dieser Beschaffenheit war glücklicherweise ein großer Teil des Waldes am Gara-Fluß. Der Wald trug hier in mancher Beziehung denselben Charakter, der uns von unsern Hochwäldern her bekannt ist. Nur die Stämme waren mächtiger, das Dunkel viel tiefer, der Boden feucht, stellenweise sumpfig, mit Moosen


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Das Original des Werkes wurde freundlicherweise von der Universitätsbibliothek Köln zur Verfügung gestellt. Einscannen und bearbeiten durch Frank Al-Dabbagh, Oktober, 2003.
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© Kurt Stueber, 2003