Richard Semon: Im australischen Busch und an den Küsten des Korallenmeeres. (1903)

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404 Neu-Guinea. Vom Südkap bis zum Ostkap.

ganze Pracht wird nur dadurch getrübt, daß überall Löwen, Tiger, Panther und Giftschlangen auf den achtlosen Fremden lauern, während die Wilden ihre Kochtöpfe ausscheuern, um »Missionär« darin zu braten. Nun kommen allerdings alle jene Pflanzen und Geschöpfe in den Tropen vor und sind keineswegs eine bloße Erfindung sensationslustigcr Forschungsreisender, aber sie finden sich gewöhnlich nicht so hübsch beisammen und sind nicht so ohne weiteres zu sehen, wie der Unkundige es denkt. Ein Mann kann zehn Jahre lang im tropischen Afrika leben, ohne je einen Löwen gesehen zu haben, oder auf Java oder Sumatra oder in Vorderindien, ohne einem Tiger begegnet zu sein, wenn er nicht gerade besonders gefährliche Distrikte bereist oder als leidenschaftlicher Jäger den großen Katzen nachstellt. Und selbst dann können Monate vergehen, ehe er eine zu Gesicht bekommt. Ebenso geht es mit den Schlangen, die für gewöhnlich dem Menschen sorgfältig aus dem Wege gehen, und die man nur ganz gelegentlich sieht. Es gibt große Urwälder, in denen man tagsüber Vögel nicht nur selten sieht, sondern auch kaum hört, und die viel verlassener und schweigsamer daliegen als unsre deutschen Wälder im Frühling und Sommer. Nachts ist das allerdings etwas andres, und dann ist der Urwald fast immer von dem Geräusch verschiedenartiger Tierstimmen erfüllt.

Jene Kanoefahrt den Garafluß hinauf war aber deshalb besonders eigenartig und reizvoll, weil hier der Urwald in bezug auf sein Tierleben ein wenig das Bild darbot, wie es der Unkundige sich als typisch vorzustellen pflegt. Hier schwärmte wirklich der Wald von Vögeln und war fast den ganzen Tag über von den mannigfaltigsten Lauten ihrer Stimmen erfüllt. Am Ufer des Flusses standen hie und da verstreut mächtige, schön gewachsene Bäume, die mit großen, rot gefärbten Blüten bedeckt waren. Diese Blüten scheinen eine unwiderstehliche Anziehung auf die pinselzüngigen Papageien zu üben, denn ganze Scharen der prächtigen Lorius hypoenochrous und verschiedene Trichoglossusarten lassen sich auf ihnen nieder, balgen sich unter lautem Geschrei um den süßen Nektar der Blütenkelche, turnen an den Zweigen und bieten einen Anblick, wie man ihn öfter in . einer reichbesetzten Voliere als in der freien Natur sieht. In den höchsten Wipfeln hört man fort und fort die Stimmen der weißen und schwarzen Kakadus, dann wieder sieht man ein Exemplar des stattlichen, prächtig grün, Scharlach und blau gefärbten Electus pectoralis. Hin und wieder schießt ein Eisvogel pfeilschnellen Fluges über die Wasserfläche. Außer den echten kurzschwänzigen Eisvögeln oder Königsfischern, die sich von Fischen und ändern Wasservögeln nähren,


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Das Original des Werkes wurde freundlicherweise von der Universitätsbibliothek Köln zur Verfügung gestellt. Einscannen und bearbeiten durch Frank Al-Dabbagh, Oktober, 2003.
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© Kurt Stueber, 2003