Richard Semon: Im australischen Busch und an den Küsten des Korallenmeeres. (1903)

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Ein Seeheld.

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die Nachmittagsflut war zu schwach, um uns flott zu machen. Das Boot, das seine natürliche Stellung für einige Zeit wieder eingenommen hatte, legte sich von neuem auf die Seite, und erst die starke Nachtflut brachte uns Befreiung.

Doch unser Mißgeschick war damit noch nicht zu Ende. Ein starker Südost blies uns entgegen, und mühsam lavierend kamen wir am nächsten Nachmittag nicht weiter als Kerepunu, einem Dorf auf dem Vorgebirge, welches die Hood-Bay östlich begrenzt. Von hier ist es nicht mehr weit bis Aroma, aber da der Wind einzuschlafen begann, und das Fahrwasser gefährlich ist, mußten wir die Hoffnung aufgeben, noch an diesem Abend unsern Bestimmungsort zu erreichen. Ich schlug vor bei Kerepunu zu ankern, der Kapitän aber sagte, das Meer sei hier zu tief zum ankern, wir müßten dazu näher an die Küste heranfahren, und dieses möchte er abends in dem schwierigen und ungenügend bekannten Fahrwasser nicht tun. Er wolle lieber die Nacht hindurch längs der Küste auf und ab kreuzen. Damals überließ ich ihm noch die Entscheidung in solchen Dingen, ich gab also meine Zustimmung und legte mich, weil ein Gewitter drohte, in der Kabine zum Schlafen hin. Als ich am nächsten Morgen wieder an Deck kam und mich nach dem nahen Land umsah, sah ich zu meinem Staunen zunächst nichts als Wasser ringsum. Dann bemerkte ich endlich in blauer Ferne, mindestens 50 Kilometer von uns entfernt, die Umrisse der Küste, auf die wir mit leichtem Winde zusteuerten. War das Zauberei, oder was war mit uns geschehen? Der Kapitän hatte sich eben zum Schlafen niedergelegt; so fragte ich den Manilamann Phyllis am Steuer, was denn in der Nacht passiert sei. Grinsend antwortete er mir, der Kapitän hätte sich vor den Riffen der Küste gefürchtet und habe statt auf und ab zu kreuzen einen einzigen Schlag in See hinaus gemacht; erst kurz bevor ich an Deck gekommen wäre, hätte er den Kurs wieder auf das Land zu gerichtet. Jetzt verlor ich doch die Geduld, rüttelte den schlafenden Seehelden an der Schulter und fragte ihn, ob er glaube, daß ich nach Neu-Guinea gekommen wäre, um mich von ihm an der Küste spazieren fahren zu lassen. Zu seiner Entschuldigung gab er an, er hätte den Schlag seewärts deshalb so verlängert, weil er immer noch die Brandung an den Riffen gehört hätte. Aber diese hört man in ruhigen Nächten, wenn der Wind vom Land steht, in ungeheurer Entfernung in die See hinaus. Die Sache ließ sich nun nicht mehr ändern, jedoch erklärte ich dem Kapitän, daß ich mir erlauben würde, von jetzt an bei seinen nautischen Manövern auch ein Wörtchen mitzureden, und daß ich


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Das Original des Werkes wurde freundlicherweise von der Universitätsbibliothek Köln zur Verfügung gestellt. Einscannen und bearbeiten durch Frank Al-Dabbagh, Oktober, 2003.
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© Kurt Stueber, 2003