Richard Semon: Im australischen Busch und an den Küsten des Korallenmeeres. (1903)

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380 Neu-Guinea. Von Jule Island bis zum Südkap.

kleinen Insel Elevara. Hier sah ich zum ersten Mal die berühmten Pfahldörfer der Papuas, die uns leibhaftig vorzaubern, wie die prähistorischen schweizer Pfahlbauten ausgesehen haben müssen, und uns eine Vorstellung von der Zeit geben, als unsere eigenen Vorfahren die Bearbeitung der Metalle noch nicht kannten und aus Stein, Horn, Knochen und Holz ihre primitiven Werkzeuge herstellten. Übrigens sei daran erinnert, daß nur die ältesten schweizer Pfahlbauten der Steinzeit angehören. In den jüngeren finden wir schon Kupfer und Bronze in Gebrauch, und hie und da begegnet man sogar Anzeichen des Beginns der Eisenzeit.

So weit haben es unsere papuanischen Freunde noch nicht gebracht; sie sind durch und durch Kinder der Steinzeit. Die meisten Häuser stehen auf starken, oft krumm gewachsenen Mangrovestämmen, die zur Flutzeit von Wasser umspült sind, während bei tiefer Ebbe der Grund, auf dem sie stehen, ganz oder größtenteils trocken liegt. Natürlich können diese Dörfer nur an Stellen errichtet werden, die vor der Brandung wohl geschützt sind. Man findet sie deshalb regelmäßig in Buchten oder unter dem Schütze des der Küste vorgelagerten Riffes oder einer Sandbank. Die Zweckmäßigkeit der Pfahlbauten leuchtet ein. Die einzelnen Stämme der Papuas leben in beständiger Fehde miteinander. Die Leute an der Küste fürchten besonders die Angriffe der Gebirgsbewohner im Innern, denen sie ungerechtfertigter Weise eine fabelhafte Wildheit zuschreiben. Erfolgt nun ein solcher Angriff, so können die Bewohner der Pfahldörfer, ehe noch die Angreifer den Übergang vom Strand zu den Pfahlbauten bewerkstelligt haben, ihre Kanoes besteigen, die nahe bei den Häusern zur Hand liegen, und sich auf die See hinaus flüchten. Mir ist der Nutzen dieser Einrichtung nur in sofern nicht ganz klar, als der gewünschte Schutz während der Ebbezeit illusorisch wird, und wir dem papuanischen Gegner wohl die Intelligenz zutrauen dürfen, daß er seine Angriffe auf die Ebbezeit verlegen würde. Übrigens waren die Bewohner der Dörfer bei Port Moresby gefürchtete Krieger, und vielleicht bauten sie mehr aus alter Gewohnheit, denn aus Furcht vor Überfällen ihre Häuser auf Pfähle ins Meer, ohne dabei den ursprünglichen Sinn dieser Maßregel im Auge zu haben. Andere Dörfer, die ich später sah, sind weiter ins Meer hinaus gebaut, so daß die meisten ihrer Häuser auch zur Ebbezeit nicht trocken gelegt werden. Seit durch die britische Herrschaft die Sicherheit der Küstendistrikte zugenommen hat, siedeln sich die ehemaligen Pfahlbautenbewohner mehr und mehr auf dem festen Lande an.


Faxsimile (Scan) dieser Textseite.

Das Original des Werkes wurde freundlicherweise von der Universitätsbibliothek Köln zur Verfügung gestellt. Einscannen und bearbeiten durch Frank Al-Dabbagh, Oktober, 2003.
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© Kurt Stueber, 2003