Richard Semon: Im australischen Busch und an den Küsten des Korallenmeeres. (1903)

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364 Neu Guinea. Von Jule Island bis zum Südkap.

es den besten Einblick in die Urwaldvegetation gestattet, und zweitens, weil mir zu einem vollkommenen Landschaftsbild — Hochalpenlandschaft ausgenommen — Wasser einmal zu gehören scheint.

Der Fahrt auf einem solchen Tropenfluß, der gleichsam in Vegetation zu ersticken scheint, gewährt dem Nordländer einen ganz neuen, eigenartigen und unvergleichlichen Genuß. Der Eindruck vermehrt sich noch, wenn der Abend seinen geheimnisvollen Schleier über Wald und Wasser breitet oder wenn der Mond alles mit seinem hellen, aber nicht durchdringenden Licht übergießt. Von all meinen Reiseeindrücken sind solche Nachtstücke im australischen Busch, in den Wäldern Neu-Guineas, an den Küsten der Molukken die nachhaltigsten.

Wie anders spiegeln sich übrigens dieselben sinnlichen Eindrücke in zwei verschiedenen Gemütern und wie verschieden kann das Gesamtbild und die Gesamtempfindung sein, die sich aus ihnen kombinieren. D'Albertis hat einmal eine Nacht auf einem ähnlichen Creek, dem Bioto, nur wenige Meilen östlich vom Poino-Creek, zugebracht, und schildert seine Eindrücke folgendermaßen: »Man kann wohl eine Nacht im leichten Kanoe auf einem kleinen Flusse zubringen, aber Schlaf ist unmöglich; solch eine Nacht ist fürchterlich und man kann nur mit Schrecken daran zurückdenken. Die Schreie fremdartiger Tiere, die Gefahr von Krokodilen, vielleicht auch von Eingeborenen, das phantastische Aussehen, das alles annimmt, das Flattern von Myriaden von Fiederhunden, die wie Geister vorüberschweben, selbst das Murmeln des Stroms vereinigen sich, den Ort zu einem kleinen Inferno zu machen. Hätte Dante jemals eine Nacht wie die meinige auf dem Bioto verbracht, so würde er sicherlich all meine Prüfungen zu den Qualen seiner Hölle hinzugefügt haben.«

So etwas schreibt D'Albertis, der wirklichen Gefahren gegenüber auf seiner Reise oft genug einen wahren Löwenmut betätigt hat. Freilich ist er in jener Nacht auch von Moskitos zerstochen worden, und er hätte Recht gehabt, zu sagen, daß Dante die Stiche einer Legion dieser Tiere, wie ich sie am Jardinefluß zu erdulden gehabt habe, zu den Qualen seiner Hölle hätte hinzufügen können. Alles andere aber, was er als Schrecknis schildert, kann einen Naturfreund und Naturforscher doch nur wissenschaftlich interessieren und ästhetisch entzücken.

Es war 8 Uhr abends, also zwei Stunden nach Sonnenuntergang, als wir am Landungsplatz des Dorfes Mou ankamen. Wir hatten von hier noch einen kleinen Weg nach dem nicht weit entfernten Missionshause, das von Vater Louis Hubert aus Bourges und zwei


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Das Original des Werkes wurde freundlicherweise von der Universitätsbibliothek Köln zur Verfügung gestellt. Einscannen und bearbeiten durch Frank Al-Dabbagh, Oktober, 2003.
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© Kurt Stueber, 2003