Richard Semon: Im australischen Busch und an den Küsten des Korallenmeeres. (1903)

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Im Abenddunkel auf dem Poino-Creek.

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Nach mehrstündigem Aufenthalt in Pinupaka bestiegen wir wieder unser Walboot. Wir fuhren zunächst ein Stück in südöstlicher Richtung am Festlande hin um die Landzunge herum, auf der Pinupaka liegt. Da wir wenig Wind hatten, mußten wir wieder rudern, und hierüber, und weil wir die Strömung gegen uns hatten, zeigte sich unsere neue Mannschaft von Pinupaku so erbittert, daß sie fast jeden Ruderschlag mit Äußerungen der Unzufriedenheit und lautem Schelten begleitete und sich recht unehrerbietig gegen den guten Bruder Joseph benahm. Ein ungemütlich aussehender, mähnengeschmückter Bursche tat sich besonders hervor und schimpfte so laut und so anhaltend, daß der Missionär endlich die Geduld verlor und drohte, ihm das kleine Geschenk an Tabak, das die Leute erwarteten, ganz vorzuenthalten. Das schien ihn nachdenklich zu stimmen, und glücklicherweise kam bald darauf etwas Wind auf und füllte unsere Segel. Wir kamen nun an eine Stelle, an der das dicht mit Mangrove bewachsene Ufer einen Einschnitt erkennen ließ, der einer Flußmündung glich. In der Tat dringt hier ein Wasserarm, der Poino-Creek, ziemlich tief landeinwärts, und vor der Mündung des Creeks liegt im Meere eine richtige, bei starker Brandung schwer zu passierende Barre. Der Creek enthält für gewöhnlich auch zur Ebbezeit Salzwasser. Aus dem Vorhandensein der Barre läßt sich aber schließen, daß wenigstens zeitweilig hier Flußwasser in größerer Menge ins Meer strömt und den Sand vor der Mündung aufhäuft. Meiner Ansicht nach ist der Poino-Creek nichts anderes als das Überbleibsel eines westlichen Mündungsarms des St. Josephs-Flusses, das wohl gelegentlich auch jetzt noch mit dem Strome in Überschwemmungszeiten in Verbindung tritt.

Die Dunkelheit brach an, als wir den schmalen, gewundenen Creek hinaufruderten, zu unsern Seiten die dicht bewachsenen Ufer, deren Mangroven und Palmen im Dunkel des Abends tausendmal phantastischer und geheimnisvoller aussahen, als im Lichte des Tages. Schweigen lagert über den schweren Vegetationsmassen und über dem Wasser des Creeks, dessen Ränder von überhängenden Baumkronen und Schlingpflanzen in ein undurchdringliches Dunkel gehüllt sind. Ab und zu ertönt der Schrei eines Nachtvogels, sonst tiefe Stille ringsum. Auch das Geschwätz der Eingeborenen ist verstummt, und die Leute arbeiten schweigend und rastlos und verständigen sich nur zuweilen durch ein paar Worte über die Lenkung des Bootes oder ein Hindernis im Fahrwasser.

Unter allen Tropenbildern ist für mich das enge, dichtverwachsene Flußtal das am meisten charakteristische und schönste, einmal weil


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Das Original des Werkes wurde freundlicherweise von der Universitätsbibliothek Köln zur Verfügung gestellt. Einscannen und bearbeiten durch Frank Al-Dabbagh, Oktober, 2003.
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© Kurt Stueber, 2003