Richard Semon: Im australischen Busch und an den Küsten des Korallenmeeres. (1903)

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354 Neu-Guinea. Von Jule Island bis zum Südkap.

entgegentritt. Der Mund ist breit und voll, die Lippen sind aber nicht geradezu aufgeworfen. Die Nasen sind meist niedrig, an der Wurzel zuweilen etwas breit, doch sah ich niemals so breite Nasenwurzeln und so quergestellte Nasenlöcher wie bei den Australiern. Auf Jule Island fielen mir einige Individuen auf, die etwas gebogene Nasen hatten und dadurch entfernt an semitischen Typus erinnerten. Es wurde mir von Missionären, die die Nordküste von Neu-Guinea besucht hatten, erzählt, daß dort jene eigentümlich gebogene Nasenform häufig zu beobachten sei, und diese Beobachtung wird auch von Finsch durchaus bestätigt.

Die Körper sind ziemlich behaart, doch habe ich niemals in diesen Gegenden einen bärtigen Papua gesehen, weil die Barthaare sorgfältigst ausgerupft werden. Vielfach werden auch die Augenbrauenhaare durch Ausrupfen beseitigt. Überwältigend ist dafür die üppige Entfaltung und pompöse Frisur des Haupthaars, das wie ein aufstrebender und nach den Seiten überfallender Busch das Haupt krönt und eine prächtige, gesträubte Mähne bildet. Auf seinen Aufputz und seine Verzierung wird große Mühe verwendet. Federschmuck, Beuteltierschwänze werden hineingesteckt, Kämme, die mehr zum Kratzen als zum Reinigen bestimmt sind, dienen dazu, die parasitischen Bewohner dieses Waldes in Zucht und Ordnung zu halten. Die Mädchen tragen immer kürzeres Haar, und nach der Verheiratung wird das Haupthaar der Frauen bei vielen Stämmen kurz geschoren oder rasiert. Auch die Männer lassen den Schmuck ihres Hauptes fallen, wenn sie einmal von heftigerer Erkrankung ergriffen werden. An der Ostspitze der Insel halten sie es überhaupt kürzer, und dort erblickt man weit seltener jene prächtigen Mähnen, auf die mancher europäische Klaviervirtuose neidisch sein würde.

Jule Island, mit seinem einheimischen Namen Roro, wurde zuerst im Jahre 1875 etwas näher bekannt, als der italienische Naturforscher und Reisende L. M. D'Albertis dort längere Zeit unter den Eingeborenen lebte und seinen Aufenthalt daselbst in einem spannenden Werke »Neu-Guinea« schilderte. Über die Art, wie D'Albertis die Eingeborenen behandelte, sind später mancherlei Klagen laut geworden1). Wohl veranlaßt durch seine Schilderung, wählten katho-

i) Professor Haddon sagte z. B. in der Diskussion über den Neu-Guinea-Vortrag Sir William Macgregors vor der R. Geographical Society: »Man liest D'Albertis hätte das Gebiet des Fly-River »erschlossen«. Wenn er von »Sammeln« spricht, so ist das so zu verstehen, daß er die Leute aus ihren Dörfern herausschreckte, dann in ihre Hütten ging und dieselben plünderte. Das Ergebnis war, daß da, wo er vorher »wissenschaftlich gesammelt hat, die Missionäre und der Gouverneur ausnahmslos von den Eingeborenen angegriffen worden sind«.


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Das Original des Werkes wurde freundlicherweise von der Universitätsbibliothek Köln zur Verfügung gestellt. Einscannen und bearbeiten durch Frank Al-Dabbagh, Oktober, 2003.
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© Kurt Stueber, 2003