Richard Semon: Im australischen Busch und an den Küsten des Korallenmeeres. (1903)

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Schildkrötengelege auf Strait Island. 327

vorgelagert ist. Von kuppeiförmiger Gestalt und vom Scheitel bis zum Fuß mit hohen Bäumen bewachsen, gewährt dieses kleine Eiland, das wie durch besondere Laune eines Künstlers geformt erscheint, einen reizenden Anblick. Gegen 11 Uhr abends langten wir bei hellem Mondschein vor Strait Island an und ankerten hier für die Nacht. Am nächsten Morgen früh begab ich mich mit Wilson auf die kleine bewaldete Insel, an deren Strande wir bald die Spuren entdeckten, welche die schweren Schildkröten bei ihren Besuchen im Sande zurückgelassen hatten. Es sind zwei parallele, tiefe Furchen, die Spur der flossenförmigen Extremitäten, mit denen die Tiere mühsam ihren schweren Körper im Sande fortgepaddelt haben, und dazwischen einen breiten geebneten Streifen, die Spur des über die Erde hingeschobenen Brustpanzers. Die Spur pflegt vom Meer weg in ziemlich gerader Richtung den Strand hinaufzuführen bis etwa dreißig bis vierzig Meter jenseits der Marke der höchsten Fluten. Die Schildkröten kommen mit der Flut zur Eiablage, weil dann der für sie beschwerliche Landweg kürzer ist. Meine Leute behaupteten sogar, daß die Tiere ausschließlich zur Zeit des Neu- und Vollmondes, also mit den Springfluten ans Land kämen, und wer die vielen wunderbaren und komplizierten körperlichen und geistigen Anpassungen im Tierreich kennt, wird auch diese nicht von vorn herein für unmöglich halten. Zu ihrer sicheren Bestätigung würde eine längere Beobachtungszeit nötig sein.

Würden die Tiere vom Meere zum Lande aufsteigen, ihre Eier ablegen und direkt wieder zum Meere zurückkehren, so könnte man ohne weiteres den Endpunkt ihrer Landwanderung als die Stelle bezeichnen, wo sie ihre Eier abgelegt haben. Ihr Verfahren ist aber ein zweckmäßigeres. Die Spur dreht am Endpunkte nicht einfach um, sondern führt meist eine Strecke weit, zehn bis zwanzig Schritt, in querer Richtung und biegt erst dann wieder um zum Meere zurück. An dieser queren Strecke des Weges liegen irgendwo die Eier; man kann aber nicht ohne weiteres sehen, an welchem Punkte. Es gibt indessen ein leichtes Mittel, dies festzustellen. Mit einem spitzen Stabe stößt man von Strecke zu Strecke, etwa ein und einhalb Fuß tief in den Boden und betrachtet nach dem Herausziehen genau die Spitze des Stabes: kehrt sie feucht wieder, so finden sich hier die Eier, deren Inhalt das eindringende Holz befeuchtet hat. Wir fanden auf diese Weise fünf Gelege, ein leeres und vier volle, sämtlich im Schutz und Schirme kleiner Büsche, die hier am Strande wuchsen. Die Eier lagen in einer Tiefe von ein bis anderthalb Fuß, da, wo die Bodenfeuchtigkeit eben beginnt, von locker angedrücktem Sande


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Das Original des Werkes wurde freundlicherweise von der Universitätsbibliothek Köln zur Verfügung gestellt. Einscannen und bearbeiten durch Frank Al-Dabbagh, Oktober, 2003.
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© Kurt Stueber, 2003