Richard Semon: Im australischen Busch und an den Küsten des Korallenmeeres. (1903)

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324 Thursday Island und die Torresstraße.

abgeweidet ist. Als echte Säugetiere atmen sie natürlich atmosphärische Luft durch Lungen und sind nicht im stande längere Zeit unter Wasser zu verweilen, ohne ab und zu an die Oberfläche zu kommen, um Luft zu schöpfen. Ich beobachtete einmal ein starkes Männchen in ziemlicher Nähe, das sich durchaus nicht durch unser Boot und unsere Anwesenheit auf demselben stören ließ. Das Tier erschien in Zwischenräumen von drei und fünf Minuten an der Oberfläche, erhob sich mit einem großen Teil seines Körpers über Wasser, atmete mit eigentümlich dumpfem Schnauben und glitt langsam wieder in die Tiefe zurück. Wilson erzählte mir, er habe mehrfach gesehen, daß die Weibchen ihre ungeschlachten Kälber auf dem Rücken herumtrügen. Die Eingeborenen der Torresstraße sind sehr geschickt, sich in ihren Booten unbemerkt an einen Dugong, der so halb verschlafen auf- und abtaucht, herantreiben zu lassen und ihn, wenn er zum Atmen an der Oberfläche erscheint, zu harpunieren. Die eigentümlich geformte Harpune, ein kurzer Bolzen aus Hartholz, Knochen, neuerdings auch aus Eisen, der an ein langes Tau befestigt ist, wird mittelst eines speerartigen Schafts in das Tier hineingestoßen. Der Schaft bleibt in der Hand des Fischers zurück, während das Tier mit dem Bolzen, der in seiner Haut steckt, und dem ablaufenden Tau in die Tiefe fährt. Bei erneutem Auftauchen werden die Glieder, besonders der Schwanz des wehrlosen Geschöpfs, mit weiteren Tauen umschlungen, das ermattete Tier endlich unter Wasser festgehalten, indem eine Anzahl Eingeborener, sobald es auftauchen will, um Luft zu schöpfen, durch gleichzeitiges Tauchen ihrerseits und Abwärtsziehen der Taue dagegenhalten. Auf diese Weise wird die arme Sirene am Atmen verhindert und in ihrem eignen Element ertränkt. Eine andre Methode der Eingeborenen ist es, eine Seegraswiese, die die Tiere allnächtlich besuchen, ausfindig zu machen und ihnen hier in einer schönen Mondnacht auf einer Art Jagdkanzel, einem leichten Bambusgerüst, aufzulauern und sie in der schon beschriebenen Weise zu harpunieren.

Am leichtesten ist es, sich den Dugongs während der Paarungszeit zu nähern, weil die Liebe sie blind und taub macht. Dies ist die Zeit, in der sich weiße Dugongfischer mit ihrem Fang beschäftigen, und diesem Umstände verdanke ich meine drei Dugongembryonen. Die Weißen jagen den Dugong vorwiegend wegen seines Fetts, dem heilkräftige Wirkungen zugeschrieben werden. Es soll ein vortreffliches Heilmittel gegen Tuberkulose sein. Zum Unglück für die Menschheit und zum Glück für die Dugongs ist das wohl nur Aberglaube.


Faxsimile (Scan) dieser Textseite.

Das Original des Werkes wurde freundlicherweise von der Universitätsbibliothek Köln zur Verfügung gestellt. Einscannen und bearbeiten durch Frank Al-Dabbagh, Oktober, 2003.
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© Kurt Stueber, 2003