Richard Semon: Im australischen Busch und an den Küsten des Korallenmeeres. (1903)

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»Sirenen«. 323

amerikanischen Küsten des tropischen Atlantic bewohnt, zu der Ordnung der Sirenen. Gerade sirenenhaft sehen sie nicht aus, wenigstens nicht so, wie wohl die meisten von uns sich diese berückenden Seemädchen der griechischen Schiffersage vorstellen. Der Körper ist plump und ungeschlacht, der Hals kurz und dick, Kopf und Gesicht roh geformt, von stumpfsinnigem Ausdruck. Die vorderen Extremitäten sind zu Flossen umgebildet, während die hinteren rückgebildet sind. Der Körper läuft in einen Fischschwanz aus. Wie die Walfische und Robben gehören diese Geschöpfe zu den echten Säugetieren und haben mit Fischen nur die Lebensweise und das durch Anpassung an das Wasserleben hervorgebrachte Äußere gemein. Doch muß man zugeben, daß sie in ihrem Aussehen fischähnlicher als die Robben und säugetierähnlicher als die Wale sind, so daß, da der Kopf entfernt an einen vergrößerten Rinderkopf erinnert, und die Brüste der säugenden Weibchen sehr stark vorspringen, die Bezeichnung Seekuh ganz treffend ist. Den Anforderungen, die wir an eine Sirene zu stellen berechtigt sind, genügen sie dagegen nicht. Man ist augenblicklich geneigt, diese Tiere als am nächsten mit den Huftieren verwandt anzusehen. Jedenfalls besteht eine Verwandtschaft zwischen ihnen und den Walen nicht, ebensowenig zwischen ihnen und den mit den Raubtieren verwandten Robben. Außer dem atlantischen Manatus und der indopazifischen Halicore dugong gab es in historischer Zeit noch einen dritten Vertreter der Ordnung der Sirenen, das 8—10 Meter lange Borkentier des Beringsmeeres, nach seinem Entdecker Rytina stelleri genannt. Als Steller, dessen Schiff im Jahre 1741 auf der Beringsinsel gestrandet war, dort überwintern mußte, war das Borkentier im Beeringsmeer noch ungemein häufig. Schon dreißig Jahre später scheint es durch Walfänger nahezu ausgerottet gewesen zu sein; jetzt gehört es längst der Vergangenheit an. Größere Herden von Dugongs habe ich in der Torresstraße nicht gesehen, wohl aber nicht selten einzelne Paare und kleine Trupps, die sich nicht besonders scheu zeigten, obwohl sie von den eingeborenen Bewohnern der dortigen Inseln eifrig gejagt werden. Am häufigsten sind sie im nördlichen Teil der Torresstraße zwischen Banks- und Mulgrave-Island und der Küste von Neu-Guinea, am häufigsten am Ormansriff. Ihre Nahrung finden die plumpen Tiere in den submarinen Seegras- und Tangwiesen, die in geschützten Buchten der Inseln und im ruhigen Wasser zwischen den Riffdämmen üppig gedeihen und die eigentliche Weide der Seekühe darstellen. Zur Weide kommen die Dugongs immer nachts und kehren regelmäßig zu derselben Stelle zurück, bis die ganze Wiese


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Das Original des Werkes wurde freundlicherweise von der Universitätsbibliothek Köln zur Verfügung gestellt. Einscannen und bearbeiten durch Frank Al-Dabbagh, Oktober, 2003.
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© Kurt Stueber, 2003