Richard Semon: Im australischen Busch und an den Küsten des Korallenmeeres. (1903)

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304 Die Nordostküste Australiens von Brisbane bis zum Kap York.

besteigen, als vielmehr seine seltsamen Bewohner, die Baumkänguruhs, kennen zu lernen. Und daß diese gerade auf dem höchsten Gipfel sitzen würden, war doch nicht anzunehmen.

Die Zinngräber hatten uns gesagt, daß sie selbst, während ihres zweijährigen Aufenthalts, die Tiere hier oben nur zweimal gesehen hätten, einmal eins auf einem Baume, das andre Mal ein andres, das auf dem hohen Gerüst der Wasserleitung saß. Wir selbst fanden an verschiedenen Stellen Känguruhlosung, und da es undenkbar war, daß gewöhnliche Känguruhs in diesem Dickicht lebten, war es offenbar, daß dieselbe von Baumkänguruhs herrührte. Auch fanden wir Spuren der Tiere an den Baumstämmen. Sie selbst bekamen wir nicht zu Gesicht, möglich, daß wir unter ihnen weggingen, ohne sie zu sehen, denn das Blätterdach über uns war für das Auge völlig undurchdringlich. Dazu kommt, daß die Baumkänguruhs gewöhnlich bei Tage auf den Bäumen schlafen und nur in der Dunkelheit die Blätter abweiden und sich bewegen. Um das Tier also mit Erfolg zu jagen, bedarf es eines guten Hundes, der den Baum verweist, auf dem es ruht, oder der Hilfe eines schwarzen Jägers, wie meines alten Jimmy vom Burnett, dessen Spürsinn und Scharfäugigkeit das Wild auch ohne Hund entdeckt haben würde. Der kleine Foxterrier, den der jüngere Asmus bei sich hatte, und der uns beim Auffinden von Beuteldachsen und Beutelmardern gute Dienste leistete, war dieser schwierigen Aufgabe nicht gewachsen. Zudem waren wir seinetwegen auch sehr ängstlich, weil die Zinngräber uns gesagt hatten, daß in dieser Gegend sehr viele Todesottern vorkämen.

Ich mußte also einsehen, daß es keinen rechten Sinn hätte, ohne gute Hunde oder jagdkundige Schwarze das Suchen nach Baumkänguruhs fortzusetzen, und daß ich besser täte, meine Aufmerksamkeit und Zeit anderen Geschöpfen zu widmen. Ich sammelte hier oben noch eine Anzahl Nacktschnecken, Landblutegel und Landplanarien, vielleicht neue und sicherlich tiergeographisch interessante Arten. Das Glas, in dem ich diese Objekte bewahrte und heimsandte, ist aber unerklärlicher Weise abhanden gekommen, übrigens der einzige Teil der Sammlungen auf dieser Reise, der nicht glücklich nach Europa gelangt und der Untersuchung zugänglich geworden ist. Eine Anzahl seltener Orchideen, die ich oben sammelte und an das Treibhaus des botanischen Gartens in Jena sandte, vertrug den Transport nicht und ging ein. So war mein Verweilen auf dem Mount Finnigan in wissenschaftlicher Beziehung ziemlich ergebnislos. Dennoch denke ich mit Vergnügen an meinen Aufenthalt im Lager der Zinngräber und an meine anstrengenden Streifereien in jenem herrlichen Urwald zurück.


Faxsimile (Scan) dieser Textseite.

Das Original des Werkes wurde freundlicherweise von der Universitätsbibliothek Köln zur Verfügung gestellt. Einscannen und bearbeiten durch Frank Al-Dabbagh, Oktober, 2003.
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© Kurt Stueber, 2003