Richard Semon: Im australischen Busch und an den Küsten des Korallenmeeres. (1903)

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Die Wasserleitung der Zinngräber. 303

Das Wasser floß durch die ausgehöhlten Stämme mächtiger Palmbäume, die längsweise halbiert waren, zuweilen unmittelbar über die Erde hingeführt, dann wieder auf drei Meter hohen freistehenden Gerüsten. Bald führte die Leitung durch unzugängliches Dickicht, bald über steile, schlüpfrige Felsen, am Rande von Abgründen, über Spalten und Schluchten. Eine Hauptschwierigkeit der Arbeit war dabei die Berechnung des Neigungswinkels gewesen, um dem Wasser stets das richtige Gefalle zu geben. Dieses ganze riesige Werk, das eine Länge von nahezu vier Kilometern besaß, und das Wasser aus 500 Meter Höhe über dem top camp herabholte, war von vier Männern, die keinerlei technische Vorbildung besaßen, in einer von allem Verkehr abgeschnittenen Berggegend in drei Monaten ausgeführt worden. Es war eine bewunderungswürdige Leistung und hat mir als Ausdruck der Tatkraft von einfachen, auf sich selbst gestellten Menschen mehr imponiert, als manches stolze Werk der Technik, das durch den komplizierten Mechanismus moderner Arbeitsteilung hervorgebracht worden ist, und dem alle Hilfsmittel der Wissenschaft und des Verkehrs frei zu Gebote stehen.

Von großer Schönheit und Üppigkeit war hier der Urwald, aber an den meisten Stellen ganz undurchdringlich. Die baumartigen Brennesseln scheinen so hoch nicht heraufzusteigen. Dafür gibt aber die Feuchtigkeit, die sich an den Berghängen niederschlägt und dieselben fast immer als Nebel umlagert, so unendlich vielen großen und kleinen Gewächsen die Möglichkeit zu üppigem Gedeihen, daß die Pflanzenmasse stellenweise wahre Mauern bildet. Alle Felswände sind mit Moosen und Lycopodien bedeckt, ja selbst kleine Orchideen bilden dichtgedrängte rasenartige Überzüge über die stets von Feuchtigkeit triefenden Felsen. Die Stämme der riesigen Palmen und Ficus sind ebenfalls von epiphytischen Farnen, Orchideen, Lycopodien bedeckt, zwischen den dichtgedrängten Stämmen wächst die Masse des kraut- und buschartigen Unterholzes, und alles dies ist durch Schlinggewächse aller Art fest zusammengewebt und hoffnungslos verfilzt.

Das Klettern entlang der Wasserleitung mit dem gespannten Gewehr in der Hand war recht beschwerlich und stellenweise nicht unbedenklich, da wir keine Bergstöcke hatten und auf den schlüpfrigen Felsen kaum Fuß fassen konnten. In einer Höhe von 1100 Metern (nach meiner Barometermessung) hörte die Wasserleitung auf und die Schwierigkeiten, weiter aufwärts zu kommen und den nahen Gipfel zu erreichen, wurden so groß, daß ich davon Abstand nahm. Lag mir doch weniger daran, die Spitze des Mount Finnigan zu


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Das Original des Werkes wurde freundlicherweise von der Universitätsbibliothek Köln zur Verfügung gestellt. Einscannen und bearbeiten durch Frank Al-Dabbagh, Oktober, 2003.
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© Kurt Stueber, 2003