Richard Semon: Im australischen Busch und an den Küsten des Korallenmeeres. (1903)

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Ein Menschenfreund. 299

einem Beutel- und einem Placentartier und statt eines Känguruhs ein Rind oder ein Kalb speeren. Auf diesen Frevel reagiert der Weiße gewöhnlich so, daß er anfängt, systematisch alle Schwarzen abzuschießen, die ihm vor den Lauf kommen; die Schwarzen nehmen das übel und werfen ihm, wenn er durch den Busch reitet, aus dem Hinterhalt einen Speer in den Rücken, oder überfallen sein Haus, töten sein Weib und seine Kinder, wenn er abwesend ist. Dann, kommt die »native police«, eine Truppe von Schwarzen aus anderer Gegend, die unter dem Befehl eines weißen Offiziers steht. Sie kennt die Schliche ihrer Rassengenossen und findet am Morden besonderes Vergnügen. Diese rächt die Tat, indem sie in jener Gegend jeden Schwarzen tötet, den sie finden kann, zuweilen auch die Weiber und Kinder. Dies ist fast überall der typische Gang der Kolonisation gewesen, und wenn solche Dinge in den südöstlichen Kolonien und in Südostqueensland nicht mehr vorkommen, sind sie im Norden und Westen auch jetzt noch keineswegs unerhört, wie folgende Begebenheit beweist. Ich hatte gehört, daß nahe bei Cooktown einmal eine Anzahl Schwarze aus irgend einem Grunde von der Native Police niedergemetzelt worden war, und daß ihre Gebeine lange Zeit frei im Busche gebleicht hätten. Meine Humanität ging nun nicht so weit, besondere Anstrengungen zu machen, ihnen ein Begräbnis zu schaffen, ich wünschte vielmehr die Reste dieser armen Opfer für die Wissenschaft zu gewinnen. Denn das Studium einer größeren Menge von australischen Schädeln wäre anthropologisch höchst interessant. Ich setzte mich deshalb mit verschiedenen Leuten in Verbindung, um die Stelle zu ermitteln; sie war aber in Vergessenheit geraten oder die Gebeine waren durch irgend welche Einflüsse zerstreut und verdeckt worden, kurz, wir vermochten nichts aufzufinden. Da sagte mir einer der Leute, an die ich mich gewandt hatte: »Schade, daß X. nicht mehr lebt, der hätte Ihnen so viel Schädel besorgt, wie Sie gewollt hätten.« Ich fragte erstaunt, wie ihm das möglich gewesen sein würde, und erhielt die kaltblütige Antwort: »er würde sie ganz einfach geschossen haben.« Dieser Mann war allgemein dafür bekannt gewesen, daß er im Busch die Schwarzen abzuschießen pflegte. Vor wenigen Jahren nun war er selbst in seiner Hütte im Busch, etwa 100 Kilometer von Cooktown, erschossen aufgefunden worden. Man hatte zunächst seinen weißen Kameraden in Verdacht, der zu jener Zeit in der Gegend nicht anwesend gewesen sein wollte. Es stellte sich aber heraus, daß er von einem kleinen schwarzen Knaben erschossen worden war, den er als eine Art Diener bei sich hatte. Eines Abends hatte er nämlich dem Kinde gesagt: »Morgen schieße ich


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Das Original des Werkes wurde freundlicherweise von der Universitätsbibliothek Köln zur Verfügung gestellt. Einscannen und bearbeiten durch Frank Al-Dabbagh, Oktober, 2003.
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© Kurt Stueber, 2003