Richard Semon: Im australischen Busch und an den Küsten des Korallenmeeres. (1903)

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294 Die Nordostküste Australiens von Brisbane bis zum Kap York.

harmlosen »Vampyre« zwischen den Baumkronen umher. Mit fünfzig Schüssen erlegten wir sechzig Stück, darunter nur zwanzig Weibchen, von denen eine Anzahl trächtig war. Ich war froh, als wir unsere Patronen verschossen hatten und die Metzelei zu Ende war, denn ein derartiges Morden hilfloser Geschöpfe ist auch dann unerfreulich, wenn es zu wissenschaftlichen Zwecken geschieht, und besonders wenn man viel mehr Tiere verwundet als wirklich erbeutet.

Frau Webb sagte uns, daß diese große Ansammlung von Flederhunden jährlich nur zu gewissen Zeiten stattfinde, und daß die Mehrzahl der Tiere nach etwa vier Monate langem Verweilen größtenteils wieder abzöge. Nur die Jungen sollten dann zurückbleiben. Danach würden jene Camps im eigentlichen Sinne Nistplätze sein, und würden die Tiere sich nach abgelaufener Brunst wieder trennen oder in kleinere Gesellschaften auseinanderziehen. Eine derartige Auffassung der Pteropidenlager finde ich sonst von keinem einzigen anderen Beobachter vertreten, und ich möchte die Frage als eine offene behandeln, da wir mit einer Angabe zu tun haben, die ich nicht durch eigene Beobachtung sicherstellen konnte.

Nach der Rückkehr in mein Camp rüstete ich alles zum Aufbruch und begab mich zunächst nach Cooktown zurück, um dort zusammen mit Asmus Erkundigungen einzuziehen, wo wir am ehesten in den umliegenden Bergwäldern Aussicht haben würden, Exemplare des Baumkänguruhs zu finden. Das Vorkommen dieser merkwürdigen Känguruhgattung ist im eigentlichen Australien, und zwar in Nordqueensland, erst vor elf Jahren durch den norwegischen Reisenden Carl Lumholtz festgestellt worden. Bis dahin hatte man gemeint, die Gattung Dendrolagus sei auf Neu-Guinea beschränkt, wo sie durch drei Arten vertreten wird. Lumholtz fand eine vierte, bisher unbekannte Art, die ihm zu Ehren Dendrolagus lumholtzi benannt worden ist, in den Scrubs am Herbertfluß und seitdem ist das Vorkommen dieser Art an verschiedenen Punkten der tropischen Gebirgswälder der Nordostküste konstatiert worden. Wahrscheinlich handelt es sich hier überall nur um die Art Dendrolagus lumholtzi, das Vorkommen noch anderer Arten ist aber nicht ausgeschlossen. Es ist sehr merkwürdig, daß ein Tier, dessen ganzer Bau als Sprungtier es so unzweideutig auf die offene Ebene weist, sich doch verhältnismäßig leicht an das Baumleben und Klettern hat anpassen können, ohne dabei seine Känguruhnatur wesentlich zu verändern. Allerdings bewegt es sich auf den Bäumen auch anders als andere Baumtiere. Auf niedere Bäume hüpft es mit einem Satz und steigt dann springend im Geäst weiter an. Auf höhere Bäume klimmt es mit Leichtigkeit, indem es


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Das Original des Werkes wurde freundlicherweise von der Universitätsbibliothek Köln zur Verfügung gestellt. Einscannen und bearbeiten durch Frank Al-Dabbagh, Oktober, 2003.
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© Kurt Stueber, 2003