Richard Semon: Im australischen Busch und an den Küsten des Korallenmeeres. (1903)

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Ein »camp« der fliegenden Hunde. 293

Grundfarbe und prächtig rot gefärbten Flügeln saß, wohl eine Ptistesart. Auf dem Bauer saß ein ähnlicher, aber viel mehr gleichförmig grün gefärbter Vogel, der bei meiner Annäherung abstrich. Frau Webb sagte mir, daß der Vogel im Bauer vor einigen Monaten von ihrem Mann in der Nähe des Hauses durch einen Schuß geflügelt und, weil sonst unverwundet, in das Bauer gesteckt worden sei. Seine treue Gattin käme aber regelmäßig am Morgen, um ihn zu besuchen und ihm einige Stunden Gesellschaft zu leisten. Nach einiger Zeit flöge sie dann wieder fort, sie sei auch schon zuweilen einige Tage weggeblieben, habe sich aber schließlich. immer wieder bei ihrem alten Genossen eingefunden. Wenn das Bauer im Hause stände, wage sie sich nicht hinein, überhaupt sei sie scheu und vorsichtig gegenüber allen Mitgliedern der Familie geblieben. Ist dieser Zug treuer Anhänglichkeit bei einem Vogel nicht wirklich rührend?

Der Scrub, in dem die Flederhunde hausten, bestand aus hohen Waldbäumen, Ficus, Palmen, mächtigen Eukalypten. Der Boden war stellenweise sumpfig, und einmal versank ich mit dem rechten Bein bis zum Knie in den Schlamm. In den Baumkronen dieses Waldes hingen die Flederhunde zu Tausenden und Tausenden. Sie sind nicht durch den ganzen Wald verstreut, sondern bevorzugen gewisse Stellen und Bäume, an denen sie dicht gedrängt auf- und übereinander hängen und ihren Tagesschlaf halten. Dabei herrscht nicht etwa absolute Stille und Ruhe, sondern immer sind einige wach, lösen sich aus der Masse, fliegen an eine andre Stelle, schreien und kreischen, so daß man die Anwesenheit der Tiere weithin hört. Auch der Nase machen sie sich bemerklich, denn ihre scharfe, fuchsähnliche Ausdünstung wird einem vom Winde kilometerweit entgegengetragen. Am Boden unter ihren Schlafbäumen liegen Haufen von abgerissenen Blättern und Zweigen und starke Ansammlungen von Kot. Über dem Walde sieht man stets eine Anzahl mächtiger Keilschwanzadler, Aquila audax, schweben und sich unter denen, die sich unvorsichtig aus dem Schutz des Blätterdachs hervorwagen, ihre Beute auswählen.

Ich schoß in den dicksten Haufen und dachte, mein erster Schuß würde Dutzende herabbringen. Zu meinem Erstaunen fielen nur zwei, denn die Verwundeten klammerten sich nur um so fester an, und in dem dichten. Knäuel wurden wahrscheinlich selbst manche der Getöteten festgehalten und vor dem Herabfallen bewahrt. Nur eine Anzahl von ihnen flog fort und hängte sich nach kurzem Fluge wieder an einer anderen Stelle im Astwerk auf. Nach unsern Schüssen herrschte jedesmal grenzenlose Verwirrung, heftiges Kreischen ertönte und im ängstlichen Fluge flatterten die gespenstischen Gestalten der


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Das Original des Werkes wurde freundlicherweise von der Universitätsbibliothek Köln zur Verfügung gestellt. Einscannen und bearbeiten durch Frank Al-Dabbagh, Oktober, 2003.
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© Kurt Stueber, 2003