Richard Semon: Im australischen Busch und an den Küsten des Korallenmeeres. (1903)

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Känguruhjagd. 2 91

sieht, daß die auf die Brutpflege hinzielenden Instinkte bei diesen niederen Säugetieren noch lange nicht so hoch entwickelt sind, als bei den höheren Säugern und den Vögeln, bei denen umgekehrt die Mutter gewöhnlich ohne Zögern bereit ist, ihr eigenes Leben für ihre Nachkommen preiszugeben.

Der muskulöse Schwanz der Känguruhs liefert eine vortreffliche Suppe, auch ist das Wildbret der Keulen nicht zu verachten. Im übrigen machen sich die australischen Ansiedler nicht viel aus Känguruhfleisch und halten sich für persönlich vom Geschick beleidigt, wenn sie sich längere Zeit davon ernähren und ihr geliebtes Rindfleisch entbehren müssen. Die Vertilgung der von uns in der Nähe unseres Lagers erlegten und abgehäuteten Känguruhs übernahm eine große Menge von Falken, die sich wie die Geier über dem Aas sammelten. Denn wirkliche Geier fehlen in Australien und ihre Rolle als Vertilger des Aases wird besonders an der Küste von einigen Falken und Adlern eingenommen, während mehr im Innern, soweit meine Beobachtungen am Mittel- und Oberlauf des Burnett reichen, das gefallene Vieh und verendete Wild gewöhnlich unberührt verfault.

Da mir an älteren Stadien der Känguruhentwicklung nicht viel lag, beschloß ich Gegenden aufzusuchen, wo sich anderes für meine Zwecke vielleicht brauchbareres Wild fand. Vorher aber machte ich noch einen Ausflug nach einem nördlich vom Endeavourfluß am Fuße des Mount Fantastic gelegenen Scrub. In meinem bisherigen Lager hatte ich nämlich jeden Abend mit Anbruch der Dunkelheit riesige fruchtfressende Fledermäuse, sogenannte fliegende Hunde, zur Familie der Pteropiden gehörig, vorbeistreichen sehen und verschiedene durch Schrotschüsse im Fluge heruntergeholt. Immer kamen sie einzeln, aber oft zahlreich hintereinander aus einer bestimmten Gegend. Asmus sagte, dort müßte ein »flying fox camp« sein, eine Stelle, an der eine große Gesellschaft von Flughunden über Tag ihren Aufenthalt hätte, und von wo sie ihre nächtlichen Ausflüge unternähmen, um Nahrung zu suchen. Die Hauptnahrung der Flughunde besteht aus Früchten aller Art. Doch verschmähen sie auch Fleisch, Fisch, Insekten, Vogeleier nicht, wenn sie ihrer habhaft werden können. Asmus sagte mir, er kenne in der Nähe ein Flughundcamp, und da ich ein solches noch nie gesehen hatte und mir von dem Besuch entwicklungsgeschichtliche Ausbeute versprach, ritt ich mit ihm dorthin, während die beiden ändern im Camp zurückblieben.

Wir hatten auf unserm Ritt den Endeavourfluß zu überschreiten und sahen dabei in ziemlicher Entfernung von uns zwei mäßig große


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Das Original des Werkes wurde freundlicherweise von der Universitätsbibliothek Köln zur Verfügung gestellt. Einscannen und bearbeiten durch Frank Al-Dabbagh, Oktober, 2003.
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© Kurt Stueber, 2003