Richard Semon: Im australischen Busch und an den Küsten des Korallenmeeres. (1903)

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Die Darwinsche Theorie von der Entstehung der Barrierriffe und Atolle. 279

Versinkt allmählich der zentrale Inselkern ganz im Meere, so wird aus dem ringförmigen Riffkanal eine kreisförmige, vom Riff umsäumte Lagune, und derartige ringförmige Riffbildungen mit zentraler Lagune nennt man Atolle. Sie finden sich in sehr großer Zahl in gewissen Bezirken der tropischen Meere, besonders des pacifischen und indischen Oceans, und sind durch ihre sonderbare Form von je den Seefahrern aufgefallen. Darwins Auffassung, die von dem berühmten amerikanischen Geologen Dana aufgenommen und durch neue Beobachtungen bekräftigt wurde, schien eine ebenso einfache wie befriedigende Erklärung der merkwürdigen Barrierriff- und Atollbildungen abzugeben. In neuerer Zeit hat sich aber von verschiedenen Seiten lebhafter Widerspruch gegen diese Erklärung erhoben, und groß ist die Zahl anderweitiger Erklärungsversuche. Alle diese neueren Hypothesen, sie mögen nun von Semper, Murray oder Guppy herrühren, suchen die Bildung der Barrierriffe und Atolle ohne Annahme einer Senkung des Bodens oder Hebung des Meeresspiegels zu erklären. Der Riffkanal des Barrier-riffs, die Lagune des Atolls soll durch Erosion des Korallenfelsens und durch Fortwaschen der abgelösten Bruchstücke und Sedimente durch Meeresströme zu erklären sein. Auf die ganze komplizierte Frage kann ich hier nicht eingehen. Auch ist zuzugeben, daß manche Riffbildungen, die entfernt an Atolle und Barrierriffe erinnern, auf andere Weise als die von Darwin und Dana in den Vordergrund gestellte entstanden sein können. Nimmermehr aber werde ich glauben, daß der Riffkanal des großen Australriffes in seiner ganzen Breite und seiner Tiefe bis zu 100 Meter, seinem ruhigen Wasser durch Erosion und Ausspülung des innersten Teiles eines Küstenriffes entstanden sei, und daß dieser Prozeß sich in solcher Gleichmäßigkeit und Sauberkeit auf eine so ungeheure Strecke wie 2000 Kilometer vollzogen habe. Dagegen erklärt sich der Bau des Australriffes mit seiner steilen Böschung nach außen, seinem breiten und tiefen Riffkanal auf das ungezwungenste durch die Annahme einer allmählichen Senkung1) der Nordostküste Australiens, die augenblicklich noch fortdauert oder höchstens einem stationären Zustande Platz gemacht hat. Denn so viel steht fest, daß an den Küsten von Queensland irgend eine wesentliche Erhebung aus neuerer Zeit nicht nachzuweisen ist.

l) Richtiger ausgedrückt eine »positive Strandverschiebung«, da es sich ebenso gut um ein Steigen des Meeresniveaus als um eine Senkung des Landes gehandelt haben kann. Der technische Ausdruck »positive Strandverschiebung«, der beiden Möglichkeiten gerecht wird, ist aber nur dem Fachmann ohne weiteres verständlich, weshalb mir in diesem Reisebuche , das für weitere Kreise bestimmt ist, der Gebrauch des anschaulicheren, wenn auch anfechtbaren Ausdrucks »Senkung« gestattet sei.


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Das Original des Werkes wurde freundlicherweise von der Universitätsbibliothek Köln zur Verfügung gestellt. Einscannen und bearbeiten durch Frank Al-Dabbagh, Oktober, 2003.
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© Kurt Stueber, 2003