Richard Semon: Im australischen Busch und an den Küsten des Korallenmeeres. (1903)

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278 Die Nordostküste Australiens von Brisbane bis zum Kap York.

riffe. Kein anderes kann sich aber an Ausdehnung nur entfernt mit dem großen australischen Riff messen. Man könnte denken, dass vielleicht gewisse Korallenarten direkt an der Küste zu bauen pflegten, andere weiter draußen in einigem Abstand. Aber das ist nicht der Fall. Wir sehen dieselben Arten einmal Küsten-, das andere mal Wall- oder Barrierriffe bilden. Der Grund kann also nicht auf den Gewohnheiten der Tiere, er muß auf Umständen beruhen, die außerhalb der kleinen Baumeister liegen.

Eine Erklärung dieser merkwürdigen Erscheinung, die wenigstens für die Mehrzahl der Fälle zuzutreffen scheint, ist schon vor siebzig Jahren von Darwin gegeben worden, als er auf seiner Weltreise die Riffbildungen eines großen Teils der Erde zu untersuchen Gelegenheit hatte. Stellen wir uns eine von einem unmittelbar anschließenden Riff umsäumte Küstenstrecke vor und nehmen wir an, aus irgend einem physikalischen Grunde beginne sich die Küste zu senken oder, was dieselbe Wirkung haben wird, beginne das Niveau des Meeresspiegels sich zu heben. Geschieht die Senkung allmählich, was so gut wie immer der Fall ist, so werden die Korallen in gleichem Schritt mit dieser allmählich erfolgenden Senkung der Küste (beziehentlich Hebung des Meeresspiegels) in die Höhe bauen. Sie sind gezwungen, dies zu tun, weil die meisten Arten der riffbildenden Korallen im Seichtwasser leben und am besten in Tiefen bis zu 30 Metern gedeihen. 80 Meter Tiefe ist als die äußerste Grenze für das Wachstum der riffbauenden Korallen anzusehen. Denken wir uns nun eine in Senkung begriffene, ansteigende Küste, so wird bei fortdauernder Senkung des Landes (oder Steigen des Meeresspiegels) sich der Abstand zwischen dem Außenrande des mitwachsenden Riffs und der Strandlinie des eigentlichen Festlandes kontinuierlich vergrößern. Nun füllt sich aber nicht dieser ganze Abstand mit Korallenbauten aus, sondern der Bau schreitet nur am äußeren Rande fort, weil nur hier das offene Meer kräftig gegen den Steinwall brandet, und die Korallentiere zu ihrem Wachstum und Gedeihen ausgiebigen Wasserwechsel, wie ihn die Brandung hervorruft, unumgänglich bedürfen. Deshalb wird in einiger Entfernung vom Außenrande nach innen zu kein Wachstum von Korallen erfolgen, der sich senkende Boden wird nicht durch Riffbildung erhöht werden. Es entsteht zwischen der Küste und dem außen fortwachsenden Riff ein flacher Kanal, der Riffkanal. Handelt es sich bei diesem Prozeß um eine langgestreckte Küstenlinie, wie diejenige von Nordostaustralien, so entsteht ein langgestrecktes Barrierriff mit ebenso geformtem Riffkanal. Handelt es sich aber um eine Insel, so wird ein ringförmiges Riff entstehen.


Faxsimile (Scan) dieser Textseite.

Das Original des Werkes wurde freundlicherweise von der Universitätsbibliothek Köln zur Verfügung gestellt. Einscannen und bearbeiten durch Frank Al-Dabbagh, Oktober, 2003.
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© Kurt Stueber, 2003