Richard Semon: Im australischen Busch und an den Küsten des Korallenmeeres. (1903)

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Das große Barrierriff. 277

gemeinsamen, nach Osten abfallenden Bank liegen. Daran schließt sich nördlich das eigentliche Riff, das in seiner Breite zwischen 300 Metern und mehreren Seemeilen schwankt. Zwischen der Hauptbarriere und der Küste finden sich im Kanal allenthalben noch verstreute Riffe meist vereinzelt, an einigen Stellen aber so gedrängt, daß das Fahrwasser des Kanals außerordentlich eingeengt wird.

Im allgemeinen ist die Tiefe des Riffkanals eine nicht unbeträchtliche; im Norden beträgt sie durchschnittlich 20—40, im Süden 70 bis 90, an einzelnen Stellen sogar 110 Meter. Gegen das offene Meer fällt der Außenrand des Riffs mit steiler Böschung ab. Unmittelbar außerhalb der Brandung betragen die Tiefen schon 45 bis 145 Meter und noch weiter hinaus fällt der Seeboden zu einer Tiefe von 700 Meter und mehr ab. Nur im nördlichsten und südlichsten Teile ist die Böschung eine sanftere. Dem eigentlichen Barrierriff sind hie und da noch Korallenriffe und Inseln vorgelagert, die meist Atollform besitzen und steil aus großer Tiefe emporsteigen.

Zur Ebbezeit ragt das Riff als ein breiter dunkler Streifen mehrere Fuß hoch aus dem Meere empor. Auf dem flachen vegetationslosen Grunde sieht man Blöcke von schwarzem Korallenfels aufgetürmt, »Negerköpfe«, wie Flinders sie nannte. Man schätzt den Flächeninhalt der Riffe und Inseln, die über den Wasserspiegel emporragen, auf 4000 deutsche Quadratmeilen, und dieses ungeheure Areal ist mit Ausnahme einiger bewaldeter Inseln unfruchtbar und unbewohnbar. Dennoch muß es dem Menschen eine gewisse Ernte liefern, die einen nicht unbeträchtlichen Wert hat. Unter den Millionen von Seetieren, die die zur Flutzeit vom Meere bedeckten Teile der Riffe bevölkern, sind am großen Barrierriff gewisse Stachelhäuter, die Seegurken oder Holothurien, besonders zahlreich vertreten, von denen einige Arten eßbar sind und ein in China hochgeschätztes Genußmittel, den Trepang (bêche de mer), liefern. Das große Barrierriff ist einer der ergiebigsten Trepanggründe, die es gibt, und wird von einer Anzahl weißer Trepangfischer von Thursday Island, Cooktown und anderen nordaustralischen Ansiedlungen ausgebeutet. Auf die Trepangfischerei von Thursday Island komme ich unten noch zurück.

Wie ist nun aber jene merkwürdige Barriere entstanden? Wir können uns ja leicht überzeugen, daß sie durchweg ein Bauwerk der riffbildenden Korallentiere ist. Aber was kann jene Tiere veranlaßt haben, nicht direkt an der Küste, wie sie sonst zu tun pflegen, sondern draußen in einiger Entfernung von ihr, aber immer in ihrer Begleitung, ihre Bauten auszuführen? Auch sonst finden wir noch an vielen anderen Stellen der Erde in den tropischen Oceanen Barrier-


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Das Original des Werkes wurde freundlicherweise von der Universitätsbibliothek Köln zur Verfügung gestellt. Einscannen und bearbeiten durch Frank Al-Dabbagh, Oktober, 2003.
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© Kurt Stueber, 2003