Richard Semon: Im australischen Busch und an den Küsten des Korallenmeeres. (1903)

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206 Die Ureinwohner Australiens.

besondere Schwierigkeiten in den Weg legte, zu Grunde gegangen. Diese Behauptung läßt sich durch keine positiven Gründe stützen, kein Anzeichen spricht für sie. Nichts im Leben, in der Sprache, in der Tradition der Australier, kein Denkmal ihrer Tätigkeit im Lande1) deutet auf das ehemalige Vorhandensein einer höheren, im Lauf der Zeiten untergegangenen Kultur. Das Klima Australiens eignet sich an den Küsten fast überall ganz vorzüglich zur Anpflanzung zahlreicher Kulturgewächse, wovon jeder, der jene Gegenden besucht, sich überzeugen kann. Es ist nicht der Schatten eines Grundes dafür vorhanden, daß die Enkel die Anpflanzung solcher Pflanzen wie der Yamswurzel aufgegeben oder unterlassen haben sollten, wenn ihre Vorväter davon eine Ahnung gehabt hätten. Und diese Pflanzen boten sich auch dem schiffbrüchigen Einwanderer dar, der keine Sämereien oder Schößlinge mitbrachte, denn eine Art von Yams kommt in Australien überall wild vor und wird eifrig von den Weibern der Eingeborenen gesammelt. Sonst verwerten die Australier ja noch viele einheimische Pflanzen, und doch ist, wie schon erwähnt, auf dem ganzen Erdteil nur einmal an einem einzigen kleinen Fleck an der Westküste eine Art Pflanzung (einer Dioscorea-Art) beobachtet worden.

Wir haben also unbedenklich anzunehmen, daß die Vorfahren der Australier bei ihrer Einwanderung in den Kontinent auf keiner höheren, vielleicht auf einer tieferen Kulturstufe standen als ihre heute lebenden Nachkommen. Es ist, wie oben auf Seite 196 ausgeführt worden ist, sehr wahrscheinlich, daß sie bei ihrer Einwanderung ihr einziges Haustier, den Dingohund, mitgebracht haben, weil ein selbständiges Durchbrechen der ozeanischen Isolationssphäre, die Australien schon seit so langer Zeit von den anderen zoogeographischen Regionen trennt, durch einen Placentalier nicht angenommen werden kann, dem weder ein besonderes Schwimm- noch ein Flugvermögen zu Gebote stand, der zu groß war, um durch Treibholz oder andere zufällige Transportmittel verschleppt zu werden, wie eine Maus, und nicht klug genug, um Flöße, oder Canoes zu bauen, wie der Mensch.

Von wo und auf welchem Wege die Einwanderung erfolgte, ist sehr schwierig festzustellen. Auf dem ganzen Erdenrund lebt keine Rasse, die nahe mit den Australiern verwandt wäre. Die nächsten

i) Gewisse Malereien in den Höhlen am Glenelg River in Nordwest-Australien, deren Verfertiger auf einer höheren Kulturstufe gestanden haben müssen als die heutigen Australier, sind offenbar das Werk schiffbrüchiger Europäer, wie aus der Gesichts- und Schädelbildung der Figuren und ihrer Bekleidung mit langen Gewändern, Hüten und Schuhen hervorgeht.


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Das Original des Werkes wurde freundlicherweise von der Universitätsbibliothek Köln zur Verfügung gestellt. Einscannen und bearbeiten durch Frank Al-Dabbagh, Oktober, 2003.
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© Kurt Stueber, 2003