Richard Semon: Im australischen Busch und an den Küsten des Korallenmeeres. (1903)

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Vergleich mit anderen tiefstehenden Jagdnomaden. 265

der Toten findet nicht statt oder beschränkt sich auf oberflächliche Bedeckung mit Laub oder Erde. Die Naturweddas glauben weder an gute noch böse Geister und nur ganz vereinzelt und unbestimmt begegnet man einer Vorstellung vom Fortleben der Seele nach dem Tode. In ihren Tänzen drückt sich eine gewisse Art von Pfeilverehrung aus, und Zaubersprüche werden gemurmelt, wenn sie gefährlichen Tieren im Walde begegnen. Zahlworte über eins hinaus fehlen ganz, und auch jede Fähigkeit mittelst der Finger zu zählen.

Diese Züge stellen die Weddas entschieden unter die Australier, während im übrigen zwischen den beiden tiefstehenden Rassen manche Parallelen existieren. Das Ehesystem der Weddas ist noch nicht hinreichend aufgeklärt, die Ehe streng monogam, die Behandlung der Frau besser als bei den Australiern. Eifersüchtig wird die eheliche Treue bewacht. Der Nahrungserwerb ist dem der Australier sehr ähnlich, die Familien scheinen mehr gesondert zu leben, sind aber zu Horden (Clans) und Stämmen (Groß-Clans, 9 an der Zahl) zusammengeschlossen. Die neun Stämme stehen unter sich in keinem Heiratsverhältnis. Eigentliche Häuptlinge gibt es nicht in den Kleinclans und Großclans, wohl aber Personen, die Fremden gegenüber als Sprecher auftreten und eine gewisse Autorität ausüben. Regelmäßige Stammesversammlungen wie die großen Corroboris der Australier finden nicht statt, doch scheinen bei außerordentlichen Gelegenheiten Zusammenkünfte und Beratungen abgehalten zu werden.

Die Jagdnomaden Zentralafrikas wie die Akkas und andere Zwergvölker in den Waldgebieten bieten ein weiteres Beispiel einer sehr tiefstehenden Menschenrasse. Über ihre intellektuelle Begabung und ihre sozialen Einrichtungen wissen wir bisher nur wenig. Sie scheinen aber in jeder Beziehung höher zu stehen als die Weddas, und eher höher wie tiefer, als die Australier. Dasselbe gilt in noch höherem Maße für die wahrscheinlich mit den zentralafrikanischen Zwergstämmen verwandten Jagdnomadcn Südafrikas, die Buschmänner. Die Kulturstufe der Feuerländer dürfte sich alles in allem nicht über die der Australier erheben, ist aber auch sicherlich keine tiefere, wie aus neueren Forschungen über diese früher etwas unterschätzte Rasse hervorgeht. Die Naturvölker Südamerikas, über die von den Steinen berichtet, und die Eskimos stellen viel höhere Entwicklungsstufen dar.

Hie und da findet man die Ansicht vertreten, die Australier seien eine degenerierte Rasse. Ihre Vorfahren hätten eine viel höhere Kultur besessen, und diese sei, vielleicht durch die Einwanderung nach Australien, das durch sein trockenes Klima dem Feldbau


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Das Original des Werkes wurde freundlicherweise von der Universitätsbibliothek Köln zur Verfügung gestellt. Einscannen und bearbeiten durch Frank Al-Dabbagh, Oktober, 2003.
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© Kurt Stueber, 2003