Richard Semon: Im australischen Busch und an den Küsten des Korallenmeeres. (1903)

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264 Die Ureinwohner Australiens.

Schluß der Wunde bei der Hypospadie verhindert man durch Auseinanderhalten der Wundränder mittelst Einlegen von Bast. Bei ändern Stämmen ist es Sitte, daß jeder einzelne Mann nach der Geburt des zweiten oder dritten Kindes sich dieser Operation unterwirft.

In gewissen längeren Zeiträumen, einmal im Laufe von einem oder mehreren Jahren pflegen sich bei den meisten Stämmen die Horden zu einer allgemeinen Versammlung, einer großen Corrobori zu vereinigen. Eine solche fand während meiner Anwesenheit im Dezember i8gi bei Dykehead statt. Da ich gerade um diese Zeit Differenzen mit meinen Schwarzen gehabt hatte und von ihnen verlassen worden war, erfuhr ich nichts von der Sache und versäumte leider, diesem interessanten und lehrreichfii Schauspiel beizuwohnen.

Auf solchen großen Corroboris werden Ehen geschlossen, Weiber getauscht, Feste durch nächtliche Tänze gefeiert; hie und da kommt es vor, daß dann zeitweilig Zügellosigkeit herrscht. Nicht immer geht es friedlich her. Es ist Gebrauch, bei dieser Gelegenheit Streitigkeiten zum Austrag zu bringen. Manchmal geschieht das auf gütlichem Wege, aber auch die Blutrache sucht und findet hier ihre Opfer, und nicht selten stehen sich die Horden desselben Stammes auf einer Corrobori im Kampfe gegenüber.

Das Bild, das ich mit flüchtigen Strichen von den Australiern in körperlicher und geistiger Beziehung zu entwerfen versucht habe, zeigt uns eine einheitliche, verhältnismäßig nur wenige Variationen bildende Rasse. Dieselbe gehört in jeder Beziehung zu den tieferstehenden der Erde.

Noch tiefer aber als die Australier stehen in körperlicher wie geistiger Hinsicht die Weddas von Ceylon, da wo sie von der Kultur noch nicht beeinflußt sind, und wohl auch einige mit den Weddas verwandte Stämme (Juangs, Kurumbas etc.) Südindiens, die in dem indischen Epos Ramayana summarisch als Affen bezeichnet werden. Das sind sie natürlich ebensowenig als die Australier. Sie leben aber doch in einem primitiveren Urzustand als die letzteren. Zwar besitzen sie Pfeil und Bogen, aber schwerlich ist das ihre eigene Erfindung. Sie scheinen es nicht einmal so weit gebracht zu haben, schneidende Steinwerkzeuge herzustellen, denn früher gebrauchten sie scharfkantige Muschelschalen zum Schneiden und als Pfeilspitzen. Heute liefert ihnen der tamilische Schmied diese Werkzeuge aus Eisen. Vielfach findet man sie ohne jede Spur von Schmuck und ohne jede, auch die roheste Tätowierung. Zeremonien beim Eingehen der Ehe fehlen oder sind einfachster Art. Eine Bestattung


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Das Original des Werkes wurde freundlicherweise von der Universitätsbibliothek Köln zur Verfügung gestellt. Einscannen und bearbeiten durch Frank Al-Dabbagh, Oktober, 2003.
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© Kurt Stueber, 2003