Richard Semon: Im australischen Busch und an den Küsten des Korallenmeeres. (1903)

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260 Die Ureinwohner Australiens.

Generation A mit A verheiraten, B mit B, C mit C, D mit D, aber nicht A mit B, B mit C oder C mit D. Meine Söhne dürfen wohl die Töchter einer gewissen Frau heiraten, aber nicht die Schwestern, oder umgekehrt, wenn sie die Schwestern heiraten dürfen, ist ihnen die Verbindung mit den Töchtern verboten, selbst wenn die Altersverhältnisse gut zusammenpassen. Diese seltsame Bestimmung verfolgt wohl hauptsächlich den Zweck, durch weitere Erschwerung der Heiratsbedingungen die Männer zu zwingen, nicht nur bei den benachbarten, sondern auch bei den entfernteren Horden des Stammes nach Genossinnen zu suchen, und so eine weitgehende Mischung und Durch-einanderschüttlung der Mitglieder des Stammes bei der Verheiratung zu erzielen.

Hervorgegangen ist diese Heiratsklasseneinteilung wahrscheinlich aus der überall bestehenden Einteilung in Altersklassen. Jede Horde besteht aus drei Altersklassen: den Unerwachsenen, Erwachsenen und den Alten. Ein ausgebildetes Ceremoniell begleitet den Übertritt von der einen in die andre Altersschicht. Besonders die Einweihung der herangewachsenen Jünglinge, ihre Mannbarerklärung ist bei fast allen Stämmen eine Haupt- und Staatsaktion. Die Einzuweihenden werden allerlei Prüfungen, ja Martern unterworfen. Bei einigen Stämmen erfolgt zu dieser Zeit Circumcision, bei anderen Tätowierung durch mächtige Strichnarben, wieder andere brechen dem jungen Manne einen oder zwei Vorderzähne aus. Dazu allerlei Mummenschanz, Berieselung mit Blut und sonstiges Ceremoniell, das die Weiber und Kinder nicht mit ansehen dürfen, zum Schluß meist ein nächtliches Tanzfest, eine sogenannte Corrobori, auf dem die Männer, mit Federn geputzt, die Haut mit Farben beschmiert und bemalt, groteske Tänze aufführen, die von den Weibern mit einförmigen Gesängen, taktmäßigem Klopfen und Händeklatschen begleitet werden. Zuweilen nimmt auch eins der Weiber an dem Tanze teil, eine besondere Ehre für sie. Weniger Umstände werden bei den meisten Stämmen mit der Einweihung der Mädchen gemacht, doch ist auch sie fast immer mit einer gewissen Feierlichkeit verbunden.

Jüngling und Mädchen sind nun mannbar erklärt und dürfen heiraten. Das Weib wird nicht gefragt, sondern von ihrem Vater oder ihren Brüdern vergeben, meist gegen ein Mädchen aus anderer Horde oder anderer Gens ausgetauscht. Bei der Eheschließung werden die in dem Stamme geltenden Satzungen auf das peinlichste beobachtet. Jeder Verstoß dagegen wird als das größte Verbrechen betrachtet und schonungslos an Mann und Weib geahndet.

Bei den meisten Stämmen herrscht faktisch Monogamie vor, und


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Das Original des Werkes wurde freundlicherweise von der Universitätsbibliothek Köln zur Verfügung gestellt. Einscannen und bearbeiten durch Frank Al-Dabbagh, Oktober, 2003.
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© Kurt Stueber, 2003