Richard Semon: Im australischen Busch und an den Küsten des Korallenmeeres. (1903)

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Totems. Gentilorganisation. Heiratsklassen. 259

regeln in erster Linie die Verbindung der Gentes oder Totems. Es ist verpönt, aus der eigenen Gens sein Weib zu wählen. Dadurch werden Geschwisterehen ebenso sicher ausgeschlossen, als durch Verbot der Heirat in die Horde des Vaters oder der Mutter. Auch die Vetternehe wird beschränkt, doch nicht radikal beseitigt. Denn zwar die Heirat mit den Nachkommen der Schwester der Mutter wird unmöglich gemacht, nicht aber mit denen ihres Bruders, weil dessen Kinder ja ihr Totem von der, einer andern Gens angehörigen Gattin des Mutterbruders erhalten. Manche Stämme, so die Dieri, haben übrigens noch spezielle Gesetze, die solche Ehen verbieten. Ferner gelten eine Anzahl Gentes oder Totems für nahe mit einander verwandt und dürfen nicht unter einander heiraten. Meistens werden die gesamten Gentes eines Stammes in mehrere Gruppen, von den Ethnographen Phratrien genannt, zusammengefaßt. Mitglieder der einen Phratrie müssen sämtlich aus den Gentes der anderen Phratrien ihre Weiber holen.

Durch diese Gentilorganisation der Horden wird enge Inzucht in völlig ausreichender Weise verhindert. Das System ist aber viel leichter zu handhaben als das der Kurnai, da es fast von selbst ohne schwierige Studien des Stammbaums arbeitet. Vor dem System der Narinyeri und Turra, das einfach die Heirat in die Horde des Vaters und der Mutter verbietet, hat es den außerordentlichen Vorzug, daß es viel weniger Ehen zwischen Personen verhindert, die gar nicht mit einander verwandt sind. In der streng exogamen Narinyerihorde werden häufig die Mitglieder nur ganz entfernt oder gar nicht mit einander verwandt sein. Die Satzung verbietet aber auch die Verbindung zwischen diesen, ein unbeabsichtigtes und schädliches Resultat. Die Stämme mit Gentilorganisation sind dagegen nicht mehr so streng exogam, indem sie die Heirat gewisser Gentes innerhalb der Horde gestatten.

Den höchsten Grad der Komplikation erreicht die Verwandtschaftsorganisation bei den Stämmen in Mittel- und Nord-New-South-Wales und Süd- und Mittel-Queensland, also auch bei meinen Schwarzen am Burnett. Neben der Gentilorganisation, die genau der schon beschriebenen gleicht, läuft parallel noch ein zweites, scheinbar sehr verwickeltes System mit einer besonderen, schwerfälligen Nomenklatur. Dieser zweite Apparat hat keinen ändern Zweck und keine andre Wirkung als diese. Bezeichnen wir von zwei Gentes, deren Mitglieder sich ungehindert mit einander vermischen dürfen, die vier aufeinanderfolgenden Generationen der Großeltern, Eltern, Kinder und Enkel mit den Buchstaben A, B, C, D, so darf sich wohl die


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Das Original des Werkes wurde freundlicherweise von der Universitätsbibliothek Köln zur Verfügung gestellt. Einscannen und bearbeiten durch Frank Al-Dabbagh, Oktober, 2003.
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© Kurt Stueber, 2003