Richard Semon: Im australischen Busch und an den Küsten des Korallenmeeres. (1903)

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Zaubermärchen. Musik. 253

oft dieselben Blasen geworfen. Zusammenhänge bedürfen zu ihrer Begründung mehr als solcher Analogien.

Eigentlichen Mythen bin ich bei den Schwarzen am Burnett nicht begegnet, will aber nicht behaupten, daß sie gänzlich fehlen. Dagegen ist kein Mangel an Zaubermärchen. Frank liebte es sehr, mir diese einfachsten Erzeugnisse menschlicher Phantasie zu erzählen. Ein Schwarzer war sehr schlecht, da kamen die anderen und warfen alle ihre Speere in ihn hinein. Da wurde er zum »Cauara« (Ameisenigel, Echidna), und die Speere wurden zu Stacheln. — Ein Jüngling pflegte ohne Aufhören zu reden und zu schwatzen. Da sagte jemand zu ihm: »Du sollst immerfort schwatzen«. Da wurde er zum Frosche. Auch der »Gulla« (Phascolarctos) ist ein verzauberter Schwarzer, und ein ganz anmutiges Märchen erzählt von der Freundschaft eines Kindes mit einer »Wonge« (Giftschlange). Als die Eltern die Schlange töten, stirbt das Kind. Es gibt ein ganz ähnliches deutsches Märchen, und die Verwandlungen von Menschen in Tiere kommen bei allen Völkern vor.

Das ist die eigentliche Poesie der Australier. Denn der Text ihrer Gesänge ist in der Regel weniger poetisch, und beschränkt sich meist nur auf kurze Sätze und Aussprüche, die endlos wiederholt werden. Zuweilen stammen sie nebst den zugehörigen Melodien von entfernten Stämmen und sprechen dann einen den Sängern selbst unverständlichen Dialekt. Die Melodien erscheinen uns monoton und kindisch; keine ist darunter, die sich mit der oben mitgeteilten Weise des australischen Flötenvogels messen könnte. Gesang und Tanz wird mit Händeklatschen, taktförmigem Klopfen mit Stäben oder Keulen auf den Boden oder gegen die Schilde begleitet. Für den tiefen Kulturzustand der Australier ist es charakteristisch, daß trotz ihrer entschiedenen Vorliebe für Gesang und Tanz und trotz ihrer Gewohnheit, dieselben mit taktmäßigen Beigeräuschen zu begleiten, sich die Trommel, das primitivste aller Musikinstrumente, nur bei einigen Stämmen Westaustraliens findet, und hier in rohster Ausbildung. Die Regel ist gänzliche Abwesenheit aller Musikinstrumente; sie gilt für den ganzen Osten. Bambusflöten, die man im äußersten Norden bei Port Essington beobachtet hat, sind natürlich fremden Ursprungs.

Die sozialen Zustände unseres Naturvolkes zeigen sich tiefgreifend durch sein Nomaden- und Jägerleben beeinflusst. Kein Ackerbau fesselt an einen bestimmten Fleck des Landes; hat die Jagd den Wildreichtum einer gewissen Gegend erschöpft, so muss man weiter ziehen. So lebt man in improvisierten Rindenzelten, an anderen Orten


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Das Original des Werkes wurde freundlicherweise von der Universitätsbibliothek Köln zur Verfügung gestellt. Einscannen und bearbeiten durch Frank Al-Dabbagh, Oktober, 2003.
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© Kurt Stueber, 2003