Richard Semon: Im australischen Busch und an den Küsten des Korallenmeeres. (1903)

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252 Die Ureinwohner Australiens.

als etwas mächtigeres und besseres angesehen wurde, ein Weg des Dämonismus zum Gottesglauben, der wohl in der Entwicklung vieler Völker zurückgelegt worden ist. Doch zeigt, wie ich noch einmal betone, nur ein Teil der australischen Völkerschaften diese höhere Stufe der Entwicklung, und auch bei diesen sind die religiösen Vorstellungen und Mythen noch ganz nebelhaft und verworren, und durchgehends weihen auch diese Stämme ihren Gottheiten, die sozusagen erst im Entstehen begriffen sind, keinerlei Kult. Die religiösen Vorstellungen der Australier machen keineswegs den Eindruck des »Herabgesunkenseins«, des »Verkommenseins«, wie man ganz willkürlich behauptet hat, sondern vielmehr des Primitiven, in den ersten Anfängen Begriffenen, das nur hie und da die ersten Spuren eines Aufschwunges über krassesten Aberglauben und Blödsinn nimmt. Ebenso unberechtigt erscheint es mir, von Anklängen an melanesisch-polynesische Traditionen zu sprechen, wenn man unter Anklängen direkte Zusammenhänge versteht. Anklänge zeigen die Religionen und Mythologien aller Naturvölker über die ganze Erde hin. Der menschliche Geist ist in Vergangenheit und Gegenwart hundertfach dieselben Wege gewandelt, sich seine Götter zu schaffen; er erhebt die großen Toten des Volkes zu Göttern und Schöpfern und personifiziert die Naturgewalten, die licht- und wärmespendende Sonne, das befruchtende, aber auch zerstörende Gewitter und vieles andere. Aus der Ähnlichkeit derartiger Vorstellungen darf man aber nur dann auf einen Zusammenhang schließen, wenn sich wirklich greifbare Anhaltspunkte ergeben, und besonders wenn sich in den Namen und Bezeichnungen eine etymologisch erkennbare Verwandtschaft nachweisen läßt. Sonst wird das Aufsuchen solcher Beziehungen zu bloßer Spielerei. Die Mythen der Australier lassen nicht einmal unter sich einen bestimmten Zusammenhang erkennen, geschweige denn mit denen der polynesischen und melanesischen Völker. Wenn Ratzel zum Beispiel sagt: »Nurrundere schuf die Fische im Teich von Tulurung durch Hineinwerfen von Steinen und zog die Felseninseln Wirungenggui mit dem Netze aus dem Wasser; der Donner ist seine zornige Stimme, die aus dem Regenbogen schallt. In dieser Verbindung der Erde mit dem Himmel liegt entschieden polynesischer Anklang«, so könnte man mit genau demselben, ja noch besserem -Rechte auf Zusammenhänge mit der nordisch germanischen Sage schließen, auf Tor, den Gott des rollenden Donners, den Miterbauer der Brücke Bifrost oder des Regenbogens, den wir oft mit den Riesen beim Fischen finden, und der die Midgardschlange an der Angel aus dem Meere zieht. Der menschliche Geist hat eben


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Das Original des Werkes wurde freundlicherweise von der Universitätsbibliothek Köln zur Verfügung gestellt. Einscannen und bearbeiten durch Frank Al-Dabbagh, Oktober, 2003.
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© Kurt Stueber, 2003