Richard Semon: Im australischen Busch und an den Küsten des Korallenmeeres. (1903)

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248 Die Ureinwohner Australiens.

schlug er mir zehn oder zwanzig Rindenstücke, so war er unfähig, das irgendwie anders zu präzisieren als dadurch, daß er für jedes Stück eine Kerbe in einen Holzstab machte. Ohne seinen Stab fühlte er sich aber ganz unsicher und hilflos und besaß auch wenig Gedächtnis in dieser Richtung, so daß er nicht im stande war, die Zahl der Kerben aus dem Kopf auf einen andern Stab richtig zu notieren, wenn dieselbe sieben oder acht überstieg. Diejenigen Schwarzen, die etwas englisch verstanden, konnten die englischen Zahlworte etwa bis sechs richtig handhaben, darüber hinaus hörte aber jede Sicherheit auf, und es wurden meist ganz willkürliche Zahlen gewählt. Selbst Frank, sonst ein sehr geriebener Bursche, konnte mir wohl die Namen von acht Schwarzen nennen, die in meine Dienste treten wollten, das richtige englische Zahlwort aber fand er nicht und sprach immer von »Mengen«, wenn es sich um solche Zahlen handelte. Der Finger zum Zählen bediente sich keiner meiner Schwarzen. Allein Mackenzie verstand es, mit Hilfe der englischen Zahlworte richtig bis zehn zu zählen und auch Rechenoperationen primitivster Art - - gestern drei Echidna gebracht, heute vier, macht zusammen sieben - - vorzunehmen.

Mackenzie hatte lange auf Squatterstationen gelebt und besaß einen energischeren Geist als die anderen. Sobald es sich aber um höhere Zahlen oder so schwierige Multiplikationen wie: an drei Tagen drei Echidna gebracht, handelte, hörte auch seine Sicherheit auf. Gewissenlose Weiße nützen diese Hilflosigkeit der Schwarzen, die in ihren Diensten arbeiten, nicht selten aus und betrügen sie bei der Berechnung ihres Lohnes auf das schmählichste.

Manche Stämme in den westlichen Distrikten von Victoria benutzen die Finger zum Zählen, und obwohl sie nur Zahlworte bis drei und das Wort Hand für fünf haben, gelangen sie durch Kombination dieser Worte mit Zeichen (Erheben einzelner Finger oder der ganzen Hand) dazu, bis zu hundert zu zählen. Diese Stämme stehen im großen und ganzen höher als diejenigen, deren Bekanntschaft ich in Queensland gemacht habe. Aber auch die Queens-länder Eingeborenen können durch Erziehung, die allerdings schon im frühen Kindesalter einzusetzen hat, dahin gebracht werden, ganz leidlich zu rechnen.

Mustert man die Berichte der Missionäre, die Gelegenheit gehabt haben, zahlreiche Kinder der australischen Eingeborenen zu unterrichten, so kommen fast alle übereinstimmend zu folgendem Schluß: Beim ersten Beginn des Lernens ist zwischen den Kindern der Schwarzen und denen der Weißen kaum ein Unterschied in der


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Das Original des Werkes wurde freundlicherweise von der Universitätsbibliothek Köln zur Verfügung gestellt. Einscannen und bearbeiten durch Frank Al-Dabbagh, Oktober, 2003.
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© Kurt Stueber, 2003