Richard Semon: Im australischen Busch und an den Küsten des Korallenmeeres. (1903)

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Geistige Entwicklungsstufe. Sprache. 247

entsprossen. Im Nordosten mischen sich vielleicht papuanische Beimengungen ein.

Ein Grundzug ist die Mehrsilbigkeit der Wörter, der konsonantische Anlaut und der Auslaut auf einen Vokal oder flüssigen Konsonanten, Sämtliche von mir am Burnett notierten Wörter, die ich am Ende des Buchs im Anhang wiedergebe, zeigen diese Eigentümlichkeit. Wie man dort sieht, fehlen die Laute h, f, v, s, z gänzlich, und dies scheint allgemeine Regel für alle australischen Dialekte zu sein. Ein großer Vokalreichtum macht die Wörter klangvoll, nicht selten begegnet man Doppelvokälen und Diphthongen. In der Formenbildung herrschen die Suffixe vor.

Der Wortreichtum, soweit er sich auf konkretes bezieht, besonders die Teile des Menschen- und Tierkörpers, Namen für Tiere und Pflanzen und besonders für die Verwandtschaftsgrade, ist ziemlich groß. Doch fiel es mir auf, daß die Eingeborenen keineswegs für alles, was sie tatsächlich unterscheiden, auch besondere Worte haben. Alle Giftschlangen, von denen es dort viele Arten gibt, die leicht zu unterscheiden sind, nannten sie »wonge«, während sie für die eßbare Riesenschlange, Python spilotes, den Namen »bui« verwendeten. Die verschiedenen Arten von Wildgänsen und Wildenten wurden unterschiedslos als »monarum« bezeichnet, alle Schildkröten als »miaro«. Das ist immerhin merkwürdig, wenn man bedenkt, daß die einzelnen Arten ja faktisch auf das genauste unterschieden werden und nur der Trieb fehlt, auch durch das Wort gesondert zu bezeichnen, was Auge und Gedächtnis auseinanderhält. Auch bei uns benennt ja allerdings das Volk nicht jedes einzelne Tier und jede Pflanze, aber es findet stets Worte für das, was es nicht nur mit dem Auge, sondern auch mit dem Gedächtnis unterscheidet. Noch auffälliger ist der Mangel an Bezeichnungen für verschiedene Farben. Meine Leute unterschieden eigentlich nur weiß: bambar, schwarz: ngurue und bunt: beiar, letzteres unterschiedslos für rot, grün, blau und gelb gebraucht.

Ungemein arm sind alle australischen Idiome an Begriffsworten; da abstrakte Begriffe fehlen, gibt es auch keine Worte für sie. So haben sie nicht einmal Kollektivnamen für Tier und Pflanze. Einige Stämme haben nur Zahlworte bis drei. Am Burnett zählt man garro (eins), bôô (zwei), koromde (drei), wogaro (vier) und durch Zusammensetzung böo koromde (fünf). Was mehr ist als fünf wird als »meian«, eine Menge, viel, bezeichnet. Ein weiteres Zählen, etwa mit Zuhilfenahme der Finger oder durch Multiplikation, findet nicht statt, wie ich mich sicher überzeugen konnte. Brachte mir ein Eingeborener von Tieren einer Sorte eine größere Menge als fünf,


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Das Original des Werkes wurde freundlicherweise von der Universitätsbibliothek Köln zur Verfügung gestellt. Einscannen und bearbeiten durch Frank Al-Dabbagh, Oktober, 2003.
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© Kurt Stueber, 2003